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7.1.3

AZR: Datenerhebung zu Forschungszwecken ohne Rechtsgrundlage

Eine problematische Auswertung des Ausländerzentralregisters (AZR) für eine repräsentative Studie soll nachträglich durch eine Forschungsklausel im AZR-Gesetz
auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden.
Im Juni 2006 informierte mich das Bundesministerium
des Innern über eine groß angelegte Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur Situation ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen in Deutschland. Darin sollen repräsentativ
4 500 ausländische Mitbürger der fünf bevölkerungsstärksten Migrantengruppen durch ein privates Forschungsinstitut zu Hause besucht und zu Deutschkenntnissen, Bildung und Berufsausbildung sowie zu ihrer
beruflichen, sozialen und familiären Situation befragt
werden. Um an die hierfür erforderlichen Daten zu kommen, wurde eine namentliche Auswertung des AZR vorgenommen.
Nach dem AZR-Gesetz ist eine solche Auswertung ohne
vollständige Personalien (Gruppenauskunft) jedoch nur in
bestimmten, gesetzlich genau geregelten Fällen zulässig,
z. B. zur Terrorismusbekämpfung oder Verfolgung von
Bandenverbrechen. Eine Datenerhebung zu Forschungszwecken, wie sie in einer Reihe anderer Gesetze (z. B.
§ 75 des SGB X) geregelt ist, sieht das AZR-Gesetz nicht
vor. Die vorgenommene Auswertung des AZR hatte daher nach meiner Auffassung keine rechtliche Grundlage.
Auf meinen entsprechenden Hinweis hat mir das BMI zugesichert, die erforderliche Rechtsgrundlage bei der
nächsten Gelegenheit in das AZR-Gesetz einzubringen.
Aufgrund dieser Zusicherung habe ich von einer Beanstandung abgesehen und zugestimmt, dass die bereits erhobenen Daten im Rahmen des Forschungsprojektes vom
BAMF weiter verwendet werden dürfen.
7.1.4

Das Visa-Informationssystem

Mittlerweile hat die Europäische Kommission ein ganzes
Bündel von Rechtsvorschriften zur Neuregelung des
Visum-Verfahrens auf den Weg gebracht, die zum Teil datenschutzrechtlichen Bedenken begegnen.
In meinem 20. TB (Nr. 6.2.3) habe ich über das Bestreben
der EU berichtet, biometrische Merkmale auch in die Verfahren für Visa- und Aufenthaltserlaubnisse einzuführen.
Bereits im Jahr 2003 hatte die Kommission einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, der eine zentrale Datenbank
über Anträge auf Erteilung eines Visums zur Einreise in
einen sog. Schengen-Staat vorsah. Mit der Entscheidung
2004/512/EG vom 8. Juni 2004 wurden die finanziellen
Weichen für die Errichtung des Visa-Informationssystem
(VIS) gestellt und am 28. Dezember 2004 ein „Vorschlag
für eine Verordnung des EP und des Rates betreffend das
Visa-Informationssystem (VIS) und den Austausch von
Daten zwischen den Mitgliedstaaten über Kurzzeitvisa“
vorgelegt. In diesem Vorschlag hat die Kommission die
von der Artikel 29-Gruppe mit ihrer Stellungnahme 7/2004
vom 11. August 2004 (WP 96) gemachten Forderungen
teilweise berücksichtigt. Dies hat die Artikel 29-Gruppe
BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006

in ihrer Stellungnahme vom 23. Juni 2005 (WP 110) gewürdigt, dabei ein weiteres Mal auf die potenziellen Risiken eines solchen Vorhabens hingewiesen und die Beachtung der Grundsätze des Datenschutzes gefordert.
Das VIS soll aus einer zentralen Datei und nationalen
Schnittstellen bestehen, ergänzt durch die Einrichtung
entsprechender Systeme einschließlich fester Verbindungen zu Konsulaten und Grenzkontrollpunkten auf nationaler Ebene. Der Verordnungsvorschlag sieht vor, in das
VIS alphanumerische und biometrische Daten (digitalisiertes Lichtbild, Fingerabdrücke) der Visum-Antragsteller zu speichern. Auch Verknüpfungen zu anderen Anträgen sollen gespeichert werden. Für die Daten ist
entsprechend meiner Forderung eine Löschungsfrist von
fünf Jahren vorgesehen. Genutzt werden soll das VIS
nicht nur bei Visaverfahren, sondern auch im Asylverfahren und zur Identifizierung und Rückführung illegaler
Einwanderer.
Zusätzlich hatte Deutschland gefordert, das VIS durch
weitere Angaben über die Einlader mit der Funktion als
Einlader- und Warndatei zu nutzen. Diese Forderung wird
jedoch von anderen Mitgliedstaaten nicht befürwortet.
Umstritten ist zudem der Kreis der Visumbehörden, die
Zugriff auf das VIS erhalten sollen. Im Hinblick auf die
Zweckbestimmung von VIS als Hilfsmittel zur Unterstützung des Verfahrens der Visavergabe und zur Vermeidung
des Visamissbrauchs habe auch ich eine derartige Anreicherung des Speicherungsumfangs und die Ausweitung
des Kreises der zugriffsberechtigten Stellen abgelehnt.
Um diesen Verordnungsvorschlag herum sind im Berichtszeitraum eine Reihe von weiteren Vorschlägen der
Kommission für rechtliche Regelungen entstanden, die
das Visa-Verfahren in der EU einheitlich gestalten sollen.
So sollen mit der „Verordnung zur Änderung der
Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 des Rates vom
13. Juni 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige“ die europarechtlichen Vorgaben für das sog. Touristenvisa auch auf den
Personenkreis angewandt werden, der aus visumpflichtigen Staaten kommend dauerhaft in einem Mitgliedstaat
der EU lebt. Hinzu kommt die Änderung des sog. Visakodexes über die Erteilung von Schengenvisa sowie der
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Gemeinsamen
Konsularischen Instruktion an die diplomatischen Missionen und die konsularischen Vertretungen, die von Berufskonsularbeamten geleitet werden, zur Aufnahme biometrischer Identifikatoren einschließlich Bestimmungen
über die Organisation der Entgegennahme und Bearbeitung von Visumanträgen“ vom 31. Mai 2006.
Zudem sollen den für die innere Sicherheit zuständigen
Behörden der Mitgliedstaaten und Europol der Zugang
zum Visa-Informationssystem (VIS) für Datenabfragen
„zum Zwecke der Prävention, Aufdeckung und Untersuchung terroristischer und sonstiger schwerwiegender
Straftaten“ eingeräumt werden (vgl. Nr. 3.2.7).
Im Rahmen dieses komplexen Regelwerks ist insbesondere die Einführung weiterer biometrischer Merkmale in

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