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Dadurch wurde den Finanz- und anderen Behörden und
auch Gerichten der Zugriff auf Kontenstammdaten (u. a.
Name, Geburtsdatum, Anzahl und Nummern der Konten,
nicht jedoch Kontostand oder -bewegungen) der Bürger
ermöglicht (§ 93 Abs. 7 und 8 der Abgabenordnung –
AO). Die Abfrage erfolgt über das Bundeszentralamt für
Steuern (BZSt).
Die Banken müssen die Kontostammdaten seit dem
1. April 2003 in besonderen Dateien bereitstellen. Die
Abfragen durften ursprünglich gemäß § 24c Kreditwesengesetz (KWG) nur zur Bekämpfung illegaler Finanz-

transaktionen im Bereich des Terrorismus und der organisierten Kriminalität erfolgen. Das o. g. Gesetz hat die
Zwecke des Kontenabrufs auf die „Festsetzung und Erhebung“ von Steuern erweitert. Dies wurde damit begründet, dass die Finanzverwaltung die Möglichkeit haben
müsse, nicht deklarierte Kapitalerträge aufzuspüren.
Schon im Gesetzgebungsverfahren hatte ich auf datenschutzrechtliche Mängel des Gesetzes hingewiesen
(s. Kasten zu Nr. 8.2). Gegen die Regelungen wurden
Ende 2004 Verfassungsbeschwerden eingereicht, über die
das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch nicht entK a s t e n zu Nr. 8.2

Datenschutzrechtliche Kritik
Datenschutzrechtlichen Nachbesserungsbedarf an den Vorschriften zum Kontenabruf nach § 93 AO sehe ich in folgenden Punkten.
Normenklarheit
Die Regelungen in § 93 Abs. 8 Abgabenordnung (AO) entsprechen nicht dem Gebot der Normenklarheit. Es wird nicht
geregelt, welche Behörden zu welchem Zweck eine Abfrage durchführen dürfen. Auch die Zulässigkeit der Anfragen
ist nicht gesetzlich geregelt. Das Gesetz räumt anderen Behörden dann eine Abfragebefugnis ein, wenn die gesetzlichen Vorschriften, die sie ausführen, an Begriffe des Einkommenssteuerrechts anknüpfen, ohne dass diese konkret benannt werden. Zwar sind in einem vom Bundesfinanzministerium (BMF) herausgegebenen Anwendungserlass zur AO
(AEAO – vgl. Nr. 8.2) sieben Gesetze aufgeführt, die nach Ansicht des BMF zur Abfrage berechtigen. Damit wird aber
nicht abschließend und für den Betroffenen nachvollziehbar geregelt, welche Stellen für welche Zwecke Kontenabrufe
veranlassen können. Damit bleibt der Anwendungsrahmen dieser Vorschriften gesetzlich zu unbestimmt.
Verhältnismäßigkeit
Eine Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ist nur zulässig, soweit diese zur Erreichung des jeweiligen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen, also verhältnismäßig ist. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips muss der Gesetzgeber zwischen dem Allgemeininteresse (gleichmäßige Besteuerung) und
den Individualinteressen der Betroffenen einen angemessenen Ausgleich herbeiführen (BVerfGE 100, 313, (376)).
Dies wurde im Gesetz nicht angemessen berücksichtigt.
Zwar sollen nach dem AEAO die Kontenabfragen anlassbezogen und zielgerichtet im Einzelfall durchgeführt werden. Dabei ist die Erforderlichkeit eines Kontenabrufs von der zuständigen Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen anhand einer Prognoseentscheidung zu beurteilen. Dies schließt jedoch nicht eine umfassende Kontenabfrage
als „Routine“ bei der Bearbeitung einer Steuererklärung aus. Um „Routineabfragen“ auf dem datenschutzrechtlich
sensiblen Gebiet der Steuerdaten und des Bankgeheimnisses nach § 30a AO entgegen zu wirken, hätte im Gesetz geregelt werden müssen, wer in den entsprechenden Behörden und Gerichten eine Kontenabfrage anordnen bzw. darum
ersuchen darf.
Transparenz
Datenschutzrechtlich problematisch bleibt, dass der betroffene Steuerzahler – jedenfalls zunächst – nichts von dem
Kontenabruf erfährt. Zwar sieht der AEAO vor, dass der Betroffene nachträglich, z.B. mit dem nächsten Steuerbescheid, über den Kontenabruf zu informieren ist. Auch wenn damit die Transparenz für Abrufe nach § 93 Abs. 7 AO
in gewissem Umfang gegeben ist, halte ich eine gesetzliche Regelung für erforderlich, nach der ein Betroffener
grundsätzlich zu unterrichten ist, wenn ohne sein Wissen seine personenbezogenen Daten erhoben, verarbeitet oder
genutzt werden. Eine solche Regelung ist insbesondere deshalb unverzichtbar, weil der AEAO für Fälle nach § 93
Abs. 8 AO keine Wirkung entfalten kann, da er Behörden außerhalb der Finanzverwaltung nicht bindet.
Neben einer nachträglichen Benachrichtigung halte ich es für notwendig, dass die Betroffenen vor einer Kontenabfrage über deren Möglichkeit und Voraussetzungen informiert werden. Weiter müssten die Informationen auch eine
Aussage über die verantwortliche Stelle sowie über die Zweckbestimmung, Verarbeitung oder Nutzung – wie in § 19a
BDSG – enthalten, um dem substanziellen Anspruch der Betroffenen auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle zu entsprechen.
Verfahrenssicherung
Das Gesetz enthält keine Dokumentationspflichten. Ohne entsprechende Dokumentation ist es für den Betroffenen
und die Gerichte schwierig, die tatsächlichen Abläufe nachzuvollziehen. Zu dokumentieren wäre z. B., wer aus welchen Gründen eine Kontenabfrage angeordnet hat und warum diese erforderlich war.

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BfDI 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006

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