Drucksache 18/12850

– 1686 –

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Diese Ansicht verkennt die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen, die insbesondere auch die Beachtung völkerrechtlicher Bestimmungen einschließt und die Bundesregierung als außenpolitische Exekutivgewalt in die Pflicht nimmt. Eine Verantwortung der Bundesregierung ist daher nicht schon dann abzulehnen,
wenn Kampfdrohneneinsätze möglicherweise völkerrechtskonform sein könnten. Von Verfassungs wegen
besteht eine Nachprüfungs-, Kontroll- und Ermittlungspflicht der Bundesregierung, als Bedingung einer Beteiligung – und sei es durch ermöglichendes Unterlassen eigener Handlungsoptionen – sich von der Vereinbarkeit der Einsätze mit deutschem und internationalem Recht zu überzeugen. Das gilt erst recht, soweit sich
die Bundesrepublik durch die Zulassung der Nutzung militärischer Anlagen auf ihrem Staatsgebiet an völkerrechtswidrigen Kampfeinsätzen beteiligen könnte.
Die Stellungnahme der Bundesregierung macht jedoch deutlich, dass sie eine solche Verpflichtung schon
nicht (an-) zu erkennen vermag, weswegen ihr Verhalten insgesamt mit dem Untermaßverbot nicht vereinbar
ist. Denn im Hinblick auf die bereits gesicherten Erkenntnisse über die tödliche Wirkung von Drohnenangriffen auf Zivilisten obliegt der Bundesrepublik eine erhöhte Sorgfaltsprüfung (due diligence) bzgl. ihrer
verfassungsrechtlichen Schutzpflichten. Insofern ist die Rechtsauslegung der Bundesregierung, wonach eine
Beihilfe etwa durch die Datenübermittlung für Drohnenkriege erst beim Vorliegen einer unrechtsmäßigen
Intention (wrongful intent) oder eines sicheren Wissens über die gezielte Tötung bzw. den Drohnenangriff
anzunehmen sei, nicht vereinbar mit den strengen Sorgfaltspflichten, die bei einer realistischen Gefahr für
das Leben unbeteiligter Zivilpersonen oder extralegaler Hinrichtungen obliegen.
Im Hinblick auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln hat Ministerialrat Stefan Sohm zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesregierung zwar dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
verpflichtet sei. Dies könne jedoch kein zwingender Grund sein, dem Begehren der jemenitischen Kläger
nachzukommen. Die Rechtsprechung billige der Regierung einen großen Gestaltungsspielraum bei der Wahrnehmung ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht zu, weil anderenfalls ihre außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten unzulässig eingeschränkt würden.
Zwar ist einzuräumen, dass im außenpolitischen Bereich der Exekutive ein gewisser Entscheidungsraum zukommt, gleichzeitig ist jedoch festzuhalten, dass unbeteiligte Zivilisten nicht als „Mittel zur Rettung anderer
benutzt [...] verdinglicht und zugleich entrechtlicht“9056 werden dürfen. Dies folgt aus der Unmittelbarkeit
der Unantastbarkeit der Menschenwürde, aus der im Hinblick auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ein Abwehranspruch gegen willkürliche Tötungshandlung und gegen diese ermöglichenden oder
unterstützenden Handlungen und Unterlassungen der Bundesrepublik folgt. Im Lichte der extraterritorialen
Wirkung der Grundrechte und damit auch der grundrechtlichen Schutzpflichten gilt dieses unabdingbare
Schutzniveau auch im Kontext des Drohnenkriegs durch unmittelbare und mittelbare deutsche Beteiligung.
Die Faktenlage ist mit der Zurückhaltung der Bundesregierung bei der Aufklärung ihrer eigenen Rolle im
internationalen Drohnenkrieg nicht vereinbar. Aufgrund von zahlreichen internationalen Berichten ist davon
auszugehen, dass bei Drohnenangriffen (sehr) regelmäßig auch und ohne eigenes Verschulden Zivilisten ums

9056)

BVerfGE 115, 118 – 166, https://www.bverfg.de/e/rs20060215_1bvr035705.html, Rn. 124

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