Drucksache 18/12850
– 1684 –
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
lieren. Wenngleich das humanitäre Völkerrecht die maßgeblichen rechtlichen Rahmenbedingungen vorschreibt, sind die allgemeinen völkerrechtlichen Menschenrechtsgarantien als Auslegungshilfe heranzuziehen, um den menschenrechtlichen Schutz lückenlos zu gewährleisten.9041
Hier erlangt bzgl. der tödlichen US-Drohnenangriffe das Recht auf Leben in Artikel 6 IPbpR9042 eine zentrale
Bedeutung. Im Hinblick auf eine mögliche Unterstützung durch die Bundesregierung ist auch das in Artikel
2 EMRK9043 verbürgte Recht auf Leben einschlägig.9044 Wenngleich die Menschenwürde im IPbpR und in
der EMRK keine eigenständige Bedeutung entfaltet, wird sie im Verbot willkürlicher Tötungen im Sinne des
Rechts auf Leben widergespiegelt und dementsprechend auch in der Rechtsprechung herangezogen.9045 Die
Wirkung des IPbpR beschränkt sich nicht auf das Staatsgebiet einer Vertragspartei. Insofern effektive Kontrolle durch einen Hoheitsträger im Ausland vorliegt, greift der Schutz des IPbpR.9046
Nach ständiger Rechtsprechung9047 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wirkt auch die
EMRK extraterritorial (vgl. auch Artikel 1 EMRK). Dies ist der Fall, wenn entweder effektive Kontrolle über
ein fremdes Gebiet bzw. Autorität und Aufsicht über Personen in einem ausländischen Gebiet vorliegt oder
effektive physische Macht und Kontrolle über eine Person ausgeübt wird.
Berücksichtigt man, dass zahlreiche gezielte Tötungen durch Kampfdrohnen nicht in bewaffneten Konflikten
stattfinden, wird die Relevanz erheblich strengerer menschenrechtlicher Vorgaben sehr deutlich.9048 Hier ist
auch darauf hinzuweisen, dass minimale Menschlichkeitsstandards unter allen Umständen zu beachten sind,
auch wenn die Schwelle eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts nicht erreicht wird und – weil ein
Ausnahmezustand geltend gemacht wird (vgl. Artikel 15 Absatz 2 EMRK) – die völkerrechtlichen Menschenrechtsgarantien bis auf einen nicht abdingbaren Kern suspendiert werden können (vgl. Artikel 4 Absatz
2 IPbpR). Im Bereich von bewaffneten Konflikten rechtfertigt Artikel 15 Absatz 2 EMRK Einschränkungen
des Rechts auf Leben unter der strengen Voraussetzung, dass die Kriegshandlungen rechtmäßig sind. Rechtmäßige Gewaltakte gelten zudem nicht als willkürlich im Sinne des Artikels 6 IPbpR.
Aus diesen menschenrechtlichen Gewährleistungen folgen deutlich strengere Rechtfertigungsanforderungen
für den Einsatz bewaffneter Drohnen. Das gilt vor allem für deren Verwendung außerhalb bewaffneter Konflikte. So darf die gezielte Tötung mittels einer Kampfdrohne nur durchgeführt werden, wenn für diese Handlung eine ausreichende Rechtsgrundlage in der nationalen Rechtsordnung des angreifenden Staates besteht,
9041)
9042)
9043)
9044)
9045)
9046)
9047)
9048)
Dazu ausführlich Neubert, C.-W. (2016): Der Einsatz tödlicher Waffengewalt durch die deutsche auswärtige Gewalt (Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Strafrecht), Berlin, Duncker & Humblot, S. 94 ff.
Artikel 6 Absatz 1 IPbpR: Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Niemand
darf willkürlich seines Lebens beraubt werden.
Artikel 2 EMRK (Recht auf Leben): (1) Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich
getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die
Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist.(2) Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine
Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen; b)
jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern; c) einen
Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.
Angesichts von EU-Einsätzen – zum Beispiel der außen- und sicherheitspolitischen Maßnahme „Operation Atalanta“ – dürfte künftig auch Artikel 2 der Grundrechtecharta der Europäischen Union mehr und mehr relevant werden.
Dazu Neubert, C.-W. (2016): Der Einsatz tödlicher Waffengewalt durch die deutsche auswärtige Gewalt (Max-Planck-Institut für
ausländisches und internationales Strafrecht) (Duncker & Humblot, Berlin) S. 82.
UNHRC, Allgemeiner Kommentar, Nr. 31, 2004, Rn. 10; dazu auch Movassat, N. (2016): US-Drohneneinsatz von deutschem
Boden aus: Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Probleme (Books on Demand), insbes. S. 81 ff.
Grundsätzlich EGMR, Urt. v. 23.3.1995, Nr. 15318/89, Loizidou/Türkei, Rn. 62.
Grundlegend der Bericht des Sonderberichterstatters (B. Emmerson) über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus v. 18.9.2013, A/68/389.