Drucksache 18/12850

– 1614 –

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Bei dieser Funktionsträgertheorie des BND handelt es sich um nichts weniger als die bewusste Umgehung
des verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechtsschutzes. Ihr fehlt jegliche gesetzliche oder rechtliche
Grundlage. Das Fernmeldegeheimnis schützt primär die Kommunikationsteilnehmer_innen selbst, der
Grundrechtsschutz der juristischen Personen im Inland und EU-Ausland wird faktisch über diese vermittelt.8729 So bleibt der Grundrechtsschutz der kommunizierenden natürlichen Person natürlich auch bestehen,
wenn sie für eine ausländische juristische Person kommuniziert. Die Funktionsträgertheorie käme zudem
einem verfassungswidrigen Verlust der Grundrechte gleich, wenn man für eine ausländische juristische Person arbeitet und für diese kommuniziert. Eine Trennbarkeit der Kommunikation als natürliche Person und
derjenigen als Funktionsträger_in einer ausländischen juristischen Person ist im Übrigen kaum möglich. Dies
insbesondere dann nicht, wenn es sich um eine breiter angelegte, personalisierte Steuerung geht. Der Schutz
der Menschenwürde und des Fernmeldegeheimnisses als Jedermann-Grundrecht findet insofern auch für die
Bespitzelung ausländischer Funktionsträger_innen Anwendung.
Die Konstruktion eines quasi rechtsfreien Raumes durch die Funktionsträgertheorie für BND-eigene Steuerung in der strategischen Fernmeldeaufklärung lässt sich nicht halten8730. Die Steuerung durch Selektoren
greift in den Schutzbereich des Art. 10 GG ein, ohne dass diese durch eine G 10-Anordnung gerechtfertigt
wäre.
c)

Steuerung von Regierungen, Ministerien, Botschaften und sonstigen öffentlichen
Stellen; EU Institutionen, VN und ihre Organisationen rechtswidrig

Da es sich – wie dargelegt – bei Art. 10 GG um ein Jedermann-Grundrecht handelt und die Funktionsträgertheorie sich nicht aufrechterhalten lässt, war auch die Steuerung von Regierungen, Ministerien, Botschaften
und sonstigen öffentlichen Stellen, EU Institutionen, den Vereinten Nationen und ihren Organisationen ein
ungerechtfertigter Eingriff in das Fernmeldegeheimnis der Kommunikationsteilnehmer, soweit er ohne eine
G 10-Anordnung erfolgte.
Die Steuerung von Staats- und Regierungschefs aus EU- und NATO-Ländern verstieß zudem gegen Sinn
und Wortlaut der EU- und NATO-Verträge, die auf Vertrauen und Solidarität der Partner aufgebaut sind. So
heißt es in der Präambel der EU-Verträge:
„SCHÖPFEND aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus
dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt
haben, […]
IN DEM WUNSCH, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken, […]

8729)
8730)

Bäcker, „Der BND baut sich einen rechtsfreien Raum: Erkenntnisse aus dem NSA-Untersuchungsausschuss“, abrufbar unter
http://verfassungsblog.de/der-bnd-baut-sich-einen-rechtsfreien-raum-erkenntnisse-aus-dem-nsa-untersuchungsausschuss/.
Dagegen auch BfDI Voßhoff, Stellungnahme von Mitte Februar 2016 an die G10-Kommission („nicht verfassungskonform“, „überkommene Vorstellung des BND: Im Zweifel für die Erfassung“ statt gehörig „Im Zweifel für den Grundrechtsschutz“. Art. 10 GG
mache „keinen Unterschied“ zwischen privater, geschäftlicher oder politischer Kommunikation); zitiert nach Süddeutsche Zeitung
Online vom 24. Februar 2016, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienst-abhoerpraxis-des-bnd-nicht-verfassungskonform-1.2878299.

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