Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
– 1613 –
Drucksache 18/12850
eigenen Selektoren auch Deutsche Staatsbürger_innen (z. B. Mitarbeiter_innen in ausländischen EU-Einrichtungen oder Diplomat_innen wie den Gatten der BMI-Staatssekretärin Emily Haber, Hansjörg Haber, als
dieser 2008 bis 2011 die EU-Beobachtermission in Georgien leitete)8725.
Daß der BND so erlangte Rohdaten sehenden Auges gegen deutsche / europäische Interessen an die NSA
übermittelte – ab 2002 sogar automatisiert –, versuchte er mit internen „Gutachten“ zu rechtfertigen: Die
„willentliche Weitergabe“ solcher Daten sei zwar „rechtswidrig“, doch bemühe sich der BND ja immerhin,
deutsche Staatsbürger_innen herauszufiltern (allerdings mit erkannt untauglichen Filtern). Es sei daher rechtlich „nicht zu beanstanden“, wenn der automatische Datenaustausch „als höherwertig anzusehen ist“ als die
vereinzelte Weitergabe von „Erkenntnissen zu deutschen Staatsangehörigen“8726.
b)
Rechtswidrigkeit der BND-eigenen Steuerung in der strategischen Fernmeldeaufklärung
Die BND-eigene Steuerung in der strategischen Fernmeldeaufklärung ist rechtswidrig. Sie greift in ungerechtfertigter Weise in den Schutzbereich des Art. 10 GG, also des Fernmeldegeheimnisses ein. Steuerung
umschreibt ganz technisch, dass personenbezogene Telekommunikationsmerkmale für das Ausfiltern von
Daten wie Mails, Telefongespräche, SMS usw. als Auswahlkriterien verwendet werden. Der Schutzbereich
des Art. 10 GG ist auch für ausländische Kommunikationsteilnehmer im Ausland eröffnet. Zwar hat das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Antiterrordateigesetz8727 weder behandelt noch explizit
festgestellt, dass diese Personengruppe ebenso wie deutsche Staatsbürger_innen als Träger_innen von Grundrechten im Sinne des Art. 10 GG geschützt sei. Die Auffassung des BND aber, beim Fernmeldegeheimnis
des Art. 10 GG handele es sich um ein Grundrecht nur deutscher Staatsbürger_innen und die reine Auslandsaufklärung des BND (nur bzgl. Kommunikationsverkehren von Ausländer_innen, die sich im Ausland
befinden) greife daher in dieses Grundrecht nicht ein, trägt nicht. Vielmehr gilt: Ist ein Kommunikationsvorgang sachlich von Art. 10 GG umfasst (also u.a. jeder „Fernmelde“-Verkehr), so kann es auf die Staatsangehörigkeit der jeweiligen Kommunikationsteilnehmer_innen nicht ankommen.8728
Auch die durch den BND entwickelte „Funktionsträgertheorie“ zur weiteren Eingrenzung des persönlichen
Schutzbereichs des Art. 10 GG lässt sich nicht halten.
Nach der „Funktionsträgertheorie“ sollen auch deutsche Staatsbürger_innen im Ausland durch Suchbegriffe
in ihrer engsten Privatsphäre oder gezielt an ihren Telekommunikationsanschlüssen überwacht werden dürfen (Ausnahme gemäß § 5 Abs. 2 S. 3 Artikel 10-Gesetz), wenn sie im Ausland für ein ausländisches Unternehmen oder eine ausländische Organisation kommunizieren. Ihre Kommunikation sei – da sie lediglich
Funktionsträger_innen der ausländischen juristischen Person sind – auch nur dieser zuzuordnen. Da ausländischen juristischen Personen jedoch gemäß Art. 19 Abs. 3 GG nicht den Schutz des Fernmeldegeheimnisses
genießen, könne Art. 10 GG auch ihre Funktionsträger_innen nicht schützen.
8725)
8726)
8727)
8728)
Spiegel Online vom 2. April 2016 „Die Fleurop-Liste“, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-143908100.html.
Spiegel Online vom 2. April 2016 „Die Fleurop-Liste“, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-143908100.html.
BVerfGE 133, 277 (325) Rdnr. 117 f.
Bäcker, „Der BND baut sich einen rechtsfreien Raum: Erkenntnisse aus dem NSA-Untersuchungsausschuss“, abrufbar unter
http://verfassungsblog.de/der-bnd-baut-sich-einen-rechtsfreien-raum-erkenntnisse-aus-dem-nsa-untersuchungsausschuss/.