Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

– 1611 –

Drucksache 18/12850

VIII. BND-Selektoren: Abhören unter Freunden geht wunderbar
1.

Rechtswidrige BND-Selektoren

a)

Überwachungsziele

Der BND hat ausweislich der gesichteten Untersuchungsausschuss-Akten mit eigenen Selektoren die Telekommunikation zahlreicher Regierungs-, Ministerien-, Botschafts- und sonstiger öffentlicher Stellen sowie
von EU-Institutionen, VN und ihrer Organisationen sowie Politiker_innen, Journalist_innen und Redaktionen überwacht.
So überwachte der BND ab 1999 bis jedenfalls Herbst 2006 weltweit mindestens 50 Telefon- und Faxnummern oder E-Mail-Adressen von Journalist_innen oder Redaktionen: u.a. einen belgischer Journalisten im
Kongo, mehr als ein Dutzend Anschlüsse der britischen BBC in Afghanistan und in der Zentrale London,
ferner Redaktionen des internationalen Programms BBC World Service, ein Anschluss der New York Times
in Afghanistan, Mobil- und Satellitentelefon-Anschlüsse der Nachrichtenagentur Reuters in Afghanistan, Pakistan und Nigeria, ferner Nachrichtenagenturen aus Kuwait, dem Libanon oder Indien sowie Journalistenverbände aus Nepal und Indonesien8711. Auch die Spiegel-Journalistin Susanne Koelbl in Afghanistan überwachte der BND 2006 ein halbes Jahr zielgerichtet; des BNDs anfänglicher Erklärungsversuch hierfür (nur
zufälliger „Beifang“) stellte sich später als Lüge heraus8712.
Gleiches behauptete der BND über sein im Februar 2012 aufgezeichnetes Telefonat der ex-US-Außenministerin Clinton mit dem damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan sowie eines Telefonats des ClintonNachfolgers John Kerry aus Nahost. Während der BND letzteren Mitschnitt – entgegen seiner Auswertungspraxis zuvor – gemäß Kanzleramts-Anordnung vom Sommer 2013 sogleich vernichtete, wurde der Clinton/Annan-Mitschnitt weisungswidrig noch länger aufbewahrt und herumgereicht8713. Ebenfalls gezielt überwachte der BND gemäß dem „Auftragsprofil der Bundesregierung“ (Stand 2009) mindestens bis Mitte 2014
die Telekommunikation des NATO-Bündnispartners Türkei8714. Bis zum Oktober 2013 überwachte der BND
TK-Anschlüsse in befreundeten Staaten: z. B. „in hunderten Fällen“ die Telekommunikation US-amerikanischer Außen- und Verteidigungspolitiker_innen sowie von Senator_innen, v.a. wenn diese unterwegs unverschlüsselt kommunizierten. Die Protokolle etwa während des Irak-Kriegs ließ der damalige BND-Chef Hanning auch dem Kanzleramt unterbreiten. Erst als die Kanzlerin (auf die US-Überwachung ihres eigenes Handies bezogen) öffentlich sagte „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“, schaltete die BND-Spitze und
ließ flugs rund 28008715 entsprechende Selektoren dieser Personengruppe löschen8716. Außerdem ließ der

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Spiegel Online vom 24. Februar 2017 „BND bespitzelte offenbar ausländische Journalisten“, abrufbar unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bnd-bespitzelte-offenbar-auslaendische-journalisten-a-1136134.html
Spiegel Online vom 24. Februar 2017 „BND bespitzelte offenbar ausländische Journalisten“, abrufbar unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bnd-bespitzelte-offenbar-auslaendische-journalisten-a-1136134.html
Spiegel Online vom 18. August 2014 „Beifang im Netz“, abrufbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-128743698.html
Spiegel Online vom 18. August 2014 „Beifang im Netz“, abrufbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-128743698.html
3.300 laut öffentlicher Bewertung des PKGr (Mehrheit) vom 16. Dezember 2015, abrufbar unter https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/parlamentarisches-kontrollgremium/399586; Bundestagsdrucksache 18/9142: wohl 2/3 der Ende 2015 noch
nachvollziehbaren 40.000 BND-Selektoren seien demnach rechts- bzw. auftragswidrig gewesen. Dagegen Minderheitsvotum MdB
Ströbele (schriftliche Version vom 30. Dezember 2015): all diese 40 000 waren rechtswidrig, sonst hätten BND-Spitze sie nicht
initiativ entfernen lassen!, abrufbar unter http://www.stroebele-online.de/show/8838258.html
Süddeutsche Zeitung Online vom 15. Oktober 2015 „Wie der BND seine Spähaktionen vertuschen wollte“, abrufbar unter
http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienst-wie-der-bnd-seine-spaehaktionen-vertuschen-wollte-1.2693574

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