Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
– 1535 –
Drucksache 18/12850
zum gegenteiligen Schluss kommen: Der überwiegende Teil der herausgenommenen, bemakelten NSA-Selektoren war aktiv gesteuert und dies für einen längeren Zeitraum.
Verantwortlich für die Grundrechtsverletzungen und Gesetzesverstöße ist der BND, der die Selektoren in
seine Erfassungssysteme eingestellt hat. Die NSA hat gegen das MoA verstoßen, in dem sie unzulässige
Selektoren dem BND übermittelte. Dass die gesamte Erfassung außerhalb des G 10-Regimes – unabhängig
vom Einsatz der NSA-Selektoren – ohne Rechtsgrundlage standfand und damit rechtswidrig war, wurde weiter oben (siehe Kapitel V.3) bereits erörtert.
Das Ausspähen der Kommunikation von Regierungsstellen von EU-Mitgliedstaaten und von Einrichtungen
der EU hat sowohl gegen das MoA als auch gegen das Auftragsprofil der Bundesregierung (APB) verstoßen.
Nach dem MoA dürfen europäische Ziele nur sehr eingeschränkt zu bestimmten Phänomenbereichen aufgeklärt werden. Und zwar lediglich im Einzelfall und wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass
das „Ziel“ in Terrorismus, Drogenhandel oder Proliferation verwickelt war.8264
Dem Wortlaut des MoA nach kann das in keinem Fall bedeuten, dass man beispielsweise die EU-Kommission oder Mitarbeiterinnen des französischen Außenministeriums ausspioniert, weil man sich dort interessante Informationen über Terrorismus im Land XY verspricht. Ein solches Vorgehen ist eine Pervertierung
des Informationsbeschaffungsauftrags und unter keinen Umständen gerechtfertigt. Auch vom APB, das den
Auftrag aus dem BND-Gesetz konkretisiert und für den BND bei jeder Informationsbeschaffung bindend ist,
ist eine solche Steuerung nicht gedeckt.
Auch Graulich bewertet eine derartige Verwendung EU-bezogener Selektoren als unzulässig:
„Die Betrachtung im Einzelnen hat erbracht, dass sie sich zum allergrößten Teil auf
Regierungseinrichtungen beziehen, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in der
erfolgten Breite hätten aufgeklärt werden dürfen.“8265
„Die Aufnahme der E-Mail-Adressen ganzer Bürostäbe europäischer Regierungen ist
ein offensichtliches Übermaß, das nicht vom MoA gedeckt ist.“8266
Graulich erhebt gegenüber der NSA schwere Vorwürfe: Die Verstöße seien „bündnispolitisch prekär“, da
die „NSA (…) auf diese Weise aus der Tarnung des Gemeinschaftsprojekts nachrichtendienstliche Aufklärung gegen Mitgliedsländer der Europäischen Union unternommen“ habe.8267
Gegenüber dem BND ist die „Sachverständige Vertrauensperson“ der Bundesregierung hingegen milde.
Durch eine von Graulich erdachte, rechtlich aberwitzige Konstruktion des MoA als eine Art Durchleitungsvertrag für Daten an die NSA, sieht er keine Verletzungen deutschen Rechts – nicht einmal bei deutschen
Grundrechtsträgern.8268 Der BND hatte danach gar nichts damit zu tun: Die NSA-Selektoren gehörten rechtlich der NSA, die für sie verantwortlich war. Etwaige (Grund-)Rechtsverstöße realisierten sich allenfalls in
8264)
8265)
8266)
8267)
8268)
So auch Graulich, Bericht vom 23. Oktober 2015, MAT A SV-11/2, S. 84; s. a. Schindler, Protokoll-Nr. 54 I, S. 30, der auf den
Annex I des MoA und dort die Nummer 1.3.2 verweist.
Graulich, Bericht vom 23. Oktober 2015, MAT A SV-11/2, S. 186.
Graulich, Bericht vom 23. Oktober 2015, MAT A SV-11/2, S. 207.
Graulich, Bericht vom 23. Oktober 2015, MAT A SV-11/2, S. 212.
Graulich, Bericht vom 23. Oktober 2015, MAT A SV-11/2, S. 194.