Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
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Drucksache 18/12850

Fernmeldegeheimnis als verfassungsrechtlicher Maßstab

Das Grundgesetz schützt in Art. 10 Abs. 1 GG das Fernmeldegeheimnis und stellt dem Gesetzgeber in Art.
10 Abs. 2 GG die Auflage, Eingriffe nur auf Grundlage von Gesetzen vorzunehmen. Es schützt die Telekommunikation, also den vertraulichen Austausch auf Distanz, insbesondere vor staatlicher Kenntnisnahme als
Voraussetzung für eine freie Entfaltung der Persönlichkeit.7877 Sowohl Inhalte als auch nähere Umstände der
Kommunikation fallen darunter.7878 Der Schutzbereich hat eine personelle, sachliche sowie räumliche Dimension.
BND-Mitarbeiter_innen argumentierten vor dem Ausschuss auf unterschiedliche Weise, dass die Abgriffe in
Frankfurt, aber auch außerhalb Deutschlands nicht unter den Schutzbereich des Art. 10 GG fielen, solange
sie sich nicht auf Staatsbürger_innen oder deutsche Anschlüsse bezögen. Eine Mindermeinung in der Literatur, die vor allem aus dem BND selbst stammt, stimmt dem zu, da der Abgriffsort von technischen und
organisatorischen Zufällen bestimmt sei. Sie knüpften stattdessen an den Aufenthaltsort der Gesprächspartner_innen an. Behördenhandeln im Ausland stelle schon gar kein Staatshandeln dar; dagegen könne deswegen keine Abwehr mittels Grundrechten erfolgen. Außerdem sei der Schutzauftrag gegenüber Nicht-Deutschen im Ausland im Vergleich zu Staatsbürger_innen vermindert, beziehungsweise aufgrund der Souveränität ausländischer Staaten „aus rechtlicher Sicht nicht zwingend und aus politischen Gründen gar nicht angeraten.“7879 Die Sachverständigen sahen das anders. Aufgrund des Inlandsbezugs eines deutschen Standorts
ist eine umfassende Grundrechtsbindung der handelnden Behörde unbestritten.
aaa) Umfassende Grundrechtsbindung
Richtigerweise nahmen die Sachverständigen einen umfassenden Schutz des Fernmeldegeheimnisses an, der
territorial nicht beschränkt ist.7880 Der Wortlaut Art. 10 Abs. 1 GG beschränkt den räumlichen Schutzbereich
des Fernmeldegeheimnisses nicht. Das BVerfG hat im G 10-Urteil von 1999 klar festgestellt:
„Der räumliche Schutzumfang des Fernmeldegeheimnisses ist nicht auf das Inland beschränkt.“7881
BND-Zeug_innen suchten sich die Lücken, die der Gesetzgeber bei den Gesetzesnovellen 2001 (und 2006)
hinterließ, als er bewusst auf eine Regelung der Auslands-Auslandsverkehre verzichtete. Sie zogen auch die
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Vgl. BVerfGE 100, 313-403, https://www.bverfg.de/e/rs19990714_1bvr222694.html, dort Rn. 162; BVerfGE 115, 166-204,
https://www.bverfg.de/e/rs20060302_2bvr209904.html, dort Rn. 65 ff.
Vgl. BVerfGE 100, 313-403, https://www.bverfg.de/e/rs19990714_1bvr222694.html, dort Rn. 161; BVerfGE 115, 166-204,
https://www.bverfg.de/e/rs20060302_2bvr209904.html, dort Rn. 70 f.
D. Kreuter/A. K. Möbius, Verfassungsrechtliche Vorgaben für nachrichtendienstliches Handeln im Ausland: Extraterritoriale Geltung der Grundrechte? In: BWV Heft 7 Juli 2009., S. 146 ff.; vgl. A. F., Protokoll-Nr. 41 I, S. 105; Graulich, MAT A SV-11/2, S.
63; Wilfried Karl/Michael Soiné, Neue Rechtsgrundlagen für die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung, in: NJW 2017, S. 919;
die Autoren sind Beamte des BND, ihr Beitrag gründet auf persönlichen Auffassungen; unter der Bezeichnung ‚Theorie des virtuellen Auslands‘ ist im Ausschuss ein plakatives Bild entstanden, kabelgebundene Überwachung außerhalb des Geltungsbereichs
der Rechtsordnung zu verorten.; ob dies so umgesetzt wurde, blieb im Ausschuss offen; vgl. Abgeordneter Christian Flisek, Protokoll-Nr. 28 I, S. 66; Breitfelder greift das Konzept auf S. 84 auf; Kritik des „Abhörens des offenen Himmels“ schon bei Berthold
Huber, Die strategische Rasterfahndung des Bundesnachrichtendienstes – Eingriffsbefugnisse und Regelungsdefizite, in: NJW
2013, S. 2572 (2575).
Eine umfassende Grundrechtsbindung ist in der Fachliteratur herrschende Meinung. Anders Graulich, MAT A 11/2, S. 49 f, der
bemerkenswerterweise den personellen Schutzbereich nicht als Menschenrecht geprüft hat und stattdessen den räumlichen Schutzbereich in einer eigenwilligen Theorie vom normgeprägten Grundrecht sucht, die vor dem Hintergrund der Grundrechtsbindung
nach Art. 1 Abs. 3 GG und der Konstruktion von Art. 10 GG als Abwehrgrundrecht nicht zu überzeugen vermag.
BVerfGE 100, 313, https://www.bverfg.de/e/rs19990714_1bvr222694.html, Ls. 2.

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