Drucksache 18/422

– 16 –

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

4.

Die Steuerung von Regierungsmitgliedern/politischer Führung von EU/NATO-Staaten ist rechtlich problematisch, da sie nach derzeitiger Auslegung des APB nicht verhältnismäßig war. Auch die Steuerung
von Ministerien und einzelner herausragender Institutionen, Organisationen, Medien, wissenschaftlichen
Einrichtungen ist in den meisten Fällen nicht nachvollziehbar.

5.

Die strategische Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes hat auch deutsche Grundrechtsträger im Ausland erfasst. Das Rechtskonstrukt der sogenannten „Funktionsträgertheorie“, welches den
Schutz aus Artikel 10 GG für deutsche Staatsangehörige versagt, wenn sie eine Funktion in ausländischen
Institutionen, Firmen, Organisationen wahrnehmen, ist rechtlich umstritten.

6.

Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass der Bundesnachrichtendienst im Sommer 2013 begonnen
hatte, einzelne kritische Teilnehmer aus der BND-eigenen Steuerung herauszunehmen. Eine Unterrichtung
des Bundeskanzleramtes über die Existenz politisch sensibler Ziele mit EU/NATO-Bezug ist – soweit ersichtlich – gegen Ende Oktober 2013 erfolgt. Jedenfalls ist nicht belegbar, dass das Bundeskanzleramt zu
dem Zeitpunkt über den Umfang und die Komplexität der BND-eigenen Steuerung vor dem in den Medien
viel zitierten Satz der Bundeskanzlerin am 24. Oktober 2013 bereits unterrichtet war. Anhaltspunkte dafür,
dass die Fachaufsicht des Bundeskanzleramtes eigeninitiativ vor diesem Zeitpunkt gegenüber dem Bundesnachrichtendienst tätig geworden ist, sind aus den Unterlagen nicht erkennbar.

7.

Das Parlamentarische Kontrollgremium wurde viel zu spät und zunächst nur rudimentär von der Bundesregierung über den Vorgang informiert, obwohl es sich zweifelsohne um einen „Vorgang von besonderer
Bedeutung“ nach § 4 Absatz 1 PKGrG handelt. Auch bei den Er��rterungen im Zusammenhang mit den
„Snowden-Veröffentlichungen“ in den Jahren 2013 und 2014 haben weder die Bundesregierung noch der
Bundesnachrichtendienst in den Sitzungen des Gremiums Hinweise auf möglicherweise problematische
BND-eigene Steuerungen gegeben.

8.

Die rechtlichen Regelungen für die Aufgabe der strategischen Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes im Ausland gemäß den §§ 1 und 2 BNDG eröffnen eine weite und kaum voraussetzungsgebundene Handlungsgrundlage zum Einsatz dieses nachrichtendienstlichen Mittels.

9.

Die Konkretisierung des gesetzlichen Handlungsrahmens durch das Auftragsprofil der Bundesregierung,
in dem Ziel- und Themenvorgaben der außen- und sicherheitspolitischen Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland definiert werden, ermöglicht eine extensive Auslegung der Aufgaben für den Bundesnachrichtendienst.

Die im APB aufgeführten Kategoriengruppen der Kernländer, Kernthemen, Monitoringländer, Monitoringthemen und nicht aufgeführter Themen und Staaten enthalten zwar konkret definierte Schwerpunkte der Informationserwartung der Bundesregierung an den Bundesnachrichtendienst, begrenzen die strategische Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes jedoch nicht bezüglich politisch sensibler Aufklärungsziele bzw. geben keinen ausreichenden Verhältnismäßigkeitsmaßstab zum Einsatz der nachrichtendienstlichen Mittel vor.
Aus den gesichteten Unterlagen wurde deutlich, dass in allen Fällen zwar ein Bezug zum APB vom Bundesnachrichtendienst hergestellt werden konnte, jedoch gerade die Steuerung von Teilnehmern der EU/NATOPartner oder sonstiger europäischer Institutionen in vielen Fällen oft nur durch einen „Phänomenbezug“ (Monitoringthema, Kernthema) in Kombination mit einem anderen Kern- oder Monitoringland hergestellt werden
konnte. Die Steuerung von TKM eines sensiblen Teilnehmers der „Gruppenliste“ erfolgte fast ausnahmslos mit
einem Aufklärungsinteresse an dem „Drittland“.
10. Der Bundesnachrichtendienst, insbesondere die für die Steuerung der TKM zuständige Abteilung TA, hat
die komplexe Aufgabe in einer über Jahre eingeübten Praxis ohne Entwicklung spezifischer Dienstvorschriften zur rechtssicheren Handhabung bearbeitet.
11. Die Aufnahme von TKM in die Datenbank erfolgte durch die Abteilung TA teilweise ohne eine regelmäßige Rückkopplung mit der Auswertung. Oft wurden die sensiblen TKM aus Erfassungen zu anderen Teilnehmern (Gegenstellen) gewonnen und dann von der Abteilung TA gesteuert. Das Verhältnis bei der Aufgabenverteilung zwischen Abteilung TA und der Auswertung ist in den Verantwortungs- und Zuständigkeitsgrenzen nicht klar bestimmt. Teilweise entsteht der Eindruck, dass gerade die Außenstellen der Abteilung TA in großer Unabhängigkeit von der Zentrale in Pullach agieren konnten.
12. Die Stichprobenauswertung lässt den Schluss zu, dass im Bundesnachrichtendienst keine regelmäßige Eingriffs-Nutzen-Abwägung bei der Steuerung verschiedener Teilnehmer stattgefunden hat. Die Steuerung
politisch und rechtlich sensibler Teilnehmer erfolgte teilweise über Jahre, ohne dass nach Angaben des
Bundesnachrichtendienstes Erfassungen bzw. Meldungen generiert werden konnten. Eine der Komplexität

Select target paragraph3