Pflicht des Staates zum Rechtsgüterschutz und dem Interesse des Einzelnen an der
Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten Rechte ist es dabei zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich der widerstreitenden
Interessen zu erreichen (vgl. BVerfGE 109, 279 <350>). Dies kann dazu führen,
dass Grundrechtseingriffe einer bestimmten Eingriffsintensität erst von bestimmten
Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürfen. Entsprechende Eingriffsschwellen sind durch eine gesetzliche Regelung zu gewährleisten (vgl. BVerfGE
100, 313 <383 f.>; 109, 279 <350 ff.>; 113, 348 <377 f., 387 ff.>; 115, 320 <346>).
(2) Die Verfassung hindert den Gesetzgeber nicht daran, die traditionellen rechtsstaatlichen Bindungen im Bereich des Polizeirechts auf der Grundlage einer seiner
Prärogative unterliegenden Feststellung neuartiger oder veränderter Gefährdungsund Bedrohungssituationen und neuer Ermittlungsmöglichkeiten fortzuentwickeln
(vgl. BVerfGE 115, 320 <360>). Dabei gebietet es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
im engeren Sinne, dass der Gesetzgeber die Ausgewogenheit zwischen der Art und
Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung einerseits und den zum Eingriff berechtigenden Tatbestandselementen andererseits, wie der Einschreitschwelle, der geforderten Tatsachenbasis und dem Gewicht der geschützten Rechtsgüter, zu wahren
hat. Je gewichtiger die drohende oder erfolgte Rechtsgutbeeinträchtigung und je weniger gewichtig der Grundrechtseingriff ist, um den es sich handelt, desto geringer
darf die Wahrscheinlichkeit sein, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung
des Rechtsguts geschlossen werden kann, und desto weniger fundiert dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die dem Verdacht zugrunde liegen. Selbst bei höchstem Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung kann allerdings auf das Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht verzichtet werden.
Grundrechtseingreifende Ermittlungen „ins Blaue hinein“ lässt die Verfassung nicht
zu (vgl. BVerfGE 115, 320 <360 f.> m.w.N.).
bb) Diesen Anforderungen werden die Ermächtigungen nicht gerecht.
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Die angegriffenen Vorschriften haben den Verwendungszweck so weit gefasst,
dass sie erhebliche Grundrechtseingriffe bis hin zur Nutzung der Kennzeichenerfassung für Zwecke der Observation ebenso wenig ausschließen wie den routinehaften
und flächendeckenden Einsatz der Erfassungsgeräte. Die Gesetzgeber haben es unterlassen, tatbestandliche Eingrenzungen vorzusehen und, soweit Maßnahmen der
automatisierten Kennzeichenerfassung grundsätzlich unbedenklich sind, auf sie abgestimmte materielle Anforderungen zu normieren und gegebenenfalls ergänzende
verfahrensrechtliche Sicherungen vorzusehen. Dies führt zur Unverhältnismäßigkeit
der Bestimmungen, weil durch sie unangemessene Grundrechtseingriffe ermöglicht
werden.
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(1) Mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist es insbesondere nicht vereinbar, dass die angegriffenen Vorschriften aufgrund ihrer unbestimmten
Weite anlasslos erfolgende oder - wie es jedenfalls in Hessen nicht ausgeschlossen
ist - flächendeckend durchgeführte Maßnahmen der automatisierten Erfassung und
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