3. Die angegriffenen Bestimmungen genügen in ihrer unbestimmten Weite auch
dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht.
162
Dieses verlangt, dass der Staat mit dem Grundrechtseingriff einen legitimen Zweck
mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln verfolgt (vgl. BVerfGE 109,
279 <335 ff.>). Bestimmtheitsmängel können die Beachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots beeinträchtigen, da sie die Beurteilung der Geeignetheit und
Erforderlichkeit einer Maßnahme erschweren und das Risiko einer Unangemessenheit des Eingriffs erhöhen (vgl. BVerfGE 110, 33 <55>). Ist die Ermächtigung unklar,
weil sie eine Auslegung, nach welcher auch eingriffsintensive Zwecksetzungen zugelassen sind, nicht hinreichend deutlich ausschließt, ist auch für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit das dadurch ermöglichte weite Verständnis ihrer Zwecksetzung und
Reichweite zugrunde zu legen.
163
a) Wie ausgeführt, kann der Eingriff, zu dem die angegriffenen Bestimmungen des
§ 14 Abs. 5 HSOG und des § 184 Abs. 5 LVwG ermächtigen, zwar zu höchst unterschiedlichen, aber jeweils legitimen Zwecken des Schutzes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingesetzt werden (siehe oben C II 1 b). Auch die Einsatzzwecke
im Bereich der Strafverfolgung wären, wenn sie von der Regelung gedeckt sein sollten, legitim. Diese Schutzgüter besitzen grundsätzlich ein hohes verfassungsrechtliches Gewicht. Das Gewicht des jeweils konkret verfolgten Einsatzzwecks hängt allerdings davon ab, auf welche beeinträchtigten Rechtsgüter er sich konkret bezieht und
welche Intensität deren Gefährdung aufweist (vgl. BVerfGE 113, 348 <385>).
164
b) Das Mittel der Kennzeichenerfassung ist zur Verfolgung präventiver und gegebenenfalls repressiver Zwecke jedenfalls insoweit geeignet, als die Erfassung des
Kennzeichens die Durchführung weiterer auf die Zweckverfolgung bezogener Maßnahmen ermöglicht oder erleichtert.
165
Ob es jeweils mildere Mittel gibt, die Zweifel an der Erforderlichkeit begründen können, lässt sich mangels Konkretisierung der Zwecke nicht umfassend klären. Da die
automatisierte Kennzeichenerfassung aufgrund der möglichen Zahl der Erfassungsvorgänge eine neuartige Reichweite der Beobachtung ermöglicht, ist anzunehmen,
dass für eine Reihe polizeilicher Maßnahmen mildere Mittel nicht ersichtlich sind.
166
c) Die angegriffenen Bestimmungen verletzen allerdings jedenfalls das Gebot der
Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Denn sie ermöglichen auch Eingriffe, die das
informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen erheblich oder sogar
schwerwiegend beeinträchtigen, ohne die für derart eingriffsintensive Maßnahmen
grundrechtlich geforderten gesetzlichen Eingriffsschwellen hinreichend zu normieren.
167
aa) (1) Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass die
Schwere der gesetzgeberischen Grundrechtsbeschränkung bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe steht
(stRspr; vgl. BVerfGE 109, 279 <349 ff.>). In dem Spannungsverhältnis zwischen der
168
37/42