Drucksache 17/5200
– 92 –
menwechsel zu einem Informationspool, in den jeder Verbundpartner möglichst viele Daten zu relevanten Personen
und Organisationen speichert. Diese Informationen könnten von den anderen Verbundteilnehmern unmittelbar eingesehen und automatisiert, z. B. durch eine Volltextrecherche, ausgewertet werden. Erste Realisierungsschritte
haben bereits begonnen. Die bundesweite Inbetriebnahme
eines derartigen Dateisystems soll im vierten Quartal 2011
erfolgen. Wesentliches Ziel ist u. a. die Speicherung von
unstrukturierten Ursprungsdokumenten bzw. Ursprungsinformationen. Dies sind durch nachrichtendienstliche
Mittel, d. h. durch heimliche Maßnahmen erhobene Daten
sowie Informationen aus offenen Quellen (z. B. Zeitungsmeldungen oder Publikationen im Internet).
Problematisch ist, dass Ursprungsdokumente auch Daten
von Personen enthalten (können), die nicht dem Aufgabenbereich des BfV unterfallen und die – jedenfalls bislang – nicht dateimäßig erfasst werden dürfen. Dies sind
beispielsweise Daten von Minderjährigen unter 16 Jahren
sowie von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern, die als
Randpersonen zufällig bzw. unbewusst mit einer Zielperson
in Kontakt treten, z. B. Familienangehörige, Nachbarn,
Kollegen, Vorgesetzte, Mitarbeiter oder auch Journalisten,
die (beruflich) derartige Personen oder Organisationen
kontaktieren bzw. über diese berichten. Deren Daten darf
das BfV nach geltendem Recht allenfalls in Papierakten,
nicht jedoch in Dateien speichern und keinesfalls für seine
Tätigkeit auswerten. Mit Schaffung eines derartigen Wissensnetzes würde diese gesetzliche Speicherbeschränkung
durchbrochen (wie bei DOMUS – vgl. 18. TB Nr. 14.1 und
20. TB Nr. 5.5.2).
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
80. Sitzung am 3./4. November 2010 in einer Entschließung hingewiesen (vgl. Kasten zu Nr. 7.5.1).
Die Speicherung von Ursprungsdokumenten und -informationen in Wissensnetzen hätte auch schwerwiegende
Konsequenzen: Sollte eine hiervon betroffene Person aufgrund ihrer zukünftigen Verhaltensweise, d. h. zu einem
späteren Zeitpunkt, rechtlich zulässig in einer derartigen
Datei gespeichert werden dürfen, könnte zu ihr eine umfassende, retrograde Suche und Auswertung in Bezug auf
alle über sie vorhandenen Daten durchgeführt werden.
Einbeziehbar wären auch diejenigen Daten, die gesetzeswidrig über diese Person gespeichert worden sind.
Fazit: Derartig ausgestaltete Dateisysteme entsprechen
nicht dem geltenden Recht. Daher sind die bereits getroffenen Umsetzungsmaßnahmen umgehend auszusetzen.
Das BMI hat mitgeteilt, dass es insoweit meiner Kritik
Rechnung tragen wird, als Ursprungsdokumente, in denen unbeteiligte Dritte genannt sind, nicht gespeichert
werden sollen.
K a s t e n zu Nr. 7.5.1
Entschließung der 80. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder am 3./4. November 2010
Keine Volltextsuche in Dateien der
Sicherheitsbehörden
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder fordert die Bundesregierung und die
Landesregierungen auf, volltextbasierte Dateisysteme
nur innerhalb der sehr engen verfassungsrechtlichen
Grenzen auszugestalten.
Der Gesetzgeber hat die Unterscheidung zwischen einer
Speicherung in Papierakten und in Dateien bewusst getroffen. Er wollte vermeiden, dass als Folge der Speicherung in einer Datei diese Daten – im Gegensatz zur Papierakte – technisch automatisiert in Sekundenbruchteilen
aus einer immensen Fülle von Informationen herausgefiltert, ausgewertet und weltweit übermittelt werden können. Auch das Bundesverfassungsgericht hat stets betont,
bereits durch die bloße Änderung einer Speicherung personenbezogener Daten von Papierakten in Dateien erfolge ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung. Denn in Dateien gespeicherte Daten
sind – so das Bundesverfassungsgericht – im Gegensatz
zur Speicherung in Akten technisch jederzeit und ohne
Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar. Dabei liegt nach Auffassung des Gerichts ein besonderes Eingriffspotential in der Menge der verarbeitbaren
Daten, die auf konventionellem Wege gar nicht bewältigt
werden könnte.
Dies hat gravierende Folgen: In Akten befinden sich
auch Daten von Personen, gegen die sich die behördlichen Maßnahmen nicht als Zielperson richten. Auch
wer als unbescholtene Bürgerin oder unbescholtener
Bürger unwissentlich Kontakt mit einer Zielperson hatte
und beiläufig in den Akten genannt wird, wird nun gezielt elektronisch recherchierbar.
Das BMI meint, die Speicherung derartiger Personendaten in solchen Dateisystemen sei kein gesetzeswidriger
Eingriff, da die Daten aufgrund technischer Sicherungen
nicht eigenständig auswertbar sein sollen. Dies steht aber
in Widerspruch zu den o. g. Vorgaben des Gesetzgebers
und des Bundesverfassungsgerichts. Zudem können technische Sicherungen relativ schnell und einfach aufgehoben werden. Hierauf hat die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder anlässlich der
Ein solcher Paradigmenwechsel steht im Widerspruch
zum geltenden Recht. Danach dürfen die Sicherheitsbehörden nur unter restriktiven Voraussetzungen ausgewählte personenbezogene Daten in automatisierten Dateien speichern und übermitteln. Heute sind die zu
speichernden Datenarten und Datenfelder in spezifischen Datei- und Errichtungsanordnungen genau festzulegen. Die Datenschutzbeauftragten müssen zuvor beteiligt werden.
BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010
Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder
(Verfassungsschutz, Polizei) bauen zurzeit ihre elektronischen Dateisysteme aus. Dabei beziehen sie auch Daten mit ein, die bisher nur in Akten vorhanden sind, und
streben eine umfassende Volltextverarbeitung mit Suchmöglichkeiten an. Nach jedem in einem Dokument vorkommenden Wort oder Datum kann elektronisch gesucht werden, weil das Dokument als Ganzes erfasst
wird.