Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– 93 –

Durch eine Volltextrecherche würden diese datenschutzrechtlichen Sicherungen aufgehoben. Die Zweckbindung der Datenverarbeitung wäre nicht mehr zu gewährleisten. Die gesetzlichen Begrenzungen sind von
verfassungsrechtlichem Gewicht. Der Gesetzgeber hat
bewusst engere Voraussetzungen vorgegeben, wenn personenbezogene Daten in IT-Systemen gespeichert werden. Denn elektronisch erfasste Daten können, wie das
Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung
betont, in Sekundenschnelle umfassend ausgewertet und
ohne Rücksicht auf Entfernungen abgerufen werden.
Damit würde in das Grundrecht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung besonders intensiv eingegriffen, insbesondere wenn die Daten ohne Wissen
der Betroffenen erhoben und verarbeitet werden.
Diese verfassungsrechtlich gebotenen Vorkehrungen zum
Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung,
insbesondere die informationelle Gewaltenteilung, würden hinfällig, wenn die unbegrenzte elektronische Volltexterfassung sämtlicher Informationen zugelassen würde.
Daran würde sich rechtlich nichts ändern, wenn technische Mechanismen derartige Auswertungen (vorübergehend) erschweren. Denn zum einen sind diese jederzeit
technisch änderbar. Zum anderen würde eine vorübergehende Erschwerung der Recherchemöglichkeit weder
den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch den Verstoß gegen die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Grenzen einer Vorratsdatenverarbeitung beseitigen.
Bestehen diese Datenschutzrisiken schon bei allgemeinen Verwaltungsbehörden, sind sie bei den Sicherheitsbehörden umso gravierender. Dies gilt besonders für den
Bereich der Nachrichtendienste, die auch Informationen
zu legalem Verhalten und Erkenntnisse mit noch unklarer
Relevanz sammeln dürfen. Für die – ggf. gänzlich unverdächtigen – Betroffenen hätte eine systemweite gezielte
Suche möglicherweise gravierende Konsequenzen. Diese
Risiken sind bei der Weiterentwicklung der IT-Systeme
bereits in der Konzeptplanung zu berücksichtigen und
auszuschließen.
7.5.2

Probleme beim Auskunftsrecht
gegenüber dem Verfassungsschutz

Werden Auskunftsverweigerungsgründe durch das BfV
geltend gemacht, sind die hierfür tragenden Erwägungen
zu dokumentieren. Dabei ist das BfV auch für Informationen verantwortlich, die es von den Landesämtern für
Verfassungsschutz (LfV) erhalten hat.
Das in § 15 BVerfSchG geregelte Auskunftsrecht ist von
herausragender Bedeutung für die Wahrung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Bereits in
meinem 22. TB (Nr. 4.7.1) hatte ich das BfV aufgefordert,
seine Auskunftspraxis verfassungskonform auszugestalten. Nun gibt es erneut Anlass zu Kritik.
Nach § 15 Absatz 1 BVerfSchG erteilt das BfV einem Betroffenen über die zu seiner Person gespeicherten Daten

Drucksache 17/5200

Auskunft, soweit dieser hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer
Auskunft darlegt. Hieran hat das BfV teilweise zu hohe
Anforderungen gestellt.
Zudem hat es in gesetzlich festgelegten Fällen, in denen
es eine Auskunft verweigern darf, keine angemessene
und in den Akten nachvollziehbar dokumentierte Einzelfallabwägung vorgenommen, sondern die Auskunft pauschal verweigert.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
ist dies nicht zulässig. In seiner Entscheidung vom
10. Oktober 2000 (1 BvR 586/90) hatte das Gericht ausgeführt, die Gründe der Auskunftsverweigerung seien aktenkundig zu machen, damit sie auch der Überprüfung durch
Dritte zugänglich seien. Zudem müssten die der Auskunftsverweigerung zugrundeliegenden Abwägungen erkennbar und nachvollziehbar sein. Nach Gesprächen mit
dem BfV konnte erreicht werden, dass diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben nun in allen Fachabteilungen des
Amtes umgesetzt werden. Damit kann ich zumindest unter
Plausibilitätsgesichtspunkten die geltend gemachten Auskunftsverweigerungsgründe überprüfen, das Problem ist
damit aber nur zum Teil gelöst:
Problematisch bleiben aber folgende Fälle: Verfügt das
BfV zu einem Betroffenen über quellengeschützte Informationen, die es von einer anderen Stelle erhalten hat,
kann es in aller Regel keine derartige Abwägung vornehmen, da ihm die hierfür notwendigen Hintergrundinformationen von diesen Stellen vielfach vorenthalten werden. Pauschale Mitteilungen dieser Stellen, wonach aus
Quellenschutzgründen keine Auskunftserteilung erfolgen
dürfe, berechtigen das BfV nicht zur Verweigerung der
Auskünfte. Es ist weder datenschutz- noch verfassungsrechtlich hinnehmbar, dass die Betroffenen in diesen Fällen in gerichtlichen Verfahren ihr Auskunftsrecht durchsetzen müssen.
Ich plädiere an alle verantwortlichen Stellen, eine rechtskonforme Auskunftserteilung durch das BfV dringend zu
gewährleisten
7.6

Nachrichtendienste

7.6.1

Datenverarbeitung beim BND

Beim BND habe ich bei einer zentralen Großdatei mit
mehreren Millionen Datensätzen datenschutzrechtliche
Verstöße festgestellt. Bis zur Schaffung eines datenschutzrechtlich gesetzeskonformen Systems sollen die Daten nur
noch in Ausnahmefällen operativ genutzt werden.
Die festgestellten Verstöße beruhen im Wesentlichen auf
strukturellen Defiziten dieser Großdatei. U. a. hat der
BND keine den Vorgaben des § 5 Absatz 1 Bundesnachrichtendienstgesetz i. V. m. § 12 Bundesverfassungsschutzgesetz entsprechenden Wiedervorlage- und Löschungsüberprüfungen durchgeführt, so dass sich in dieser Datei
eine Vielzahl von – offen und heimlich, d. h. mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen – Daten befindet, die
längst auf ihre Erforderlichkeit hätten überprüft und ggf.
gelöscht werden müssen. Ferner sind in diese seit vielen

BfDI 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010

Select target paragraph3