Drucksache 18/1200
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Der Reporter eines großen Wochenmagazins fragte
nach dem Informationszugang zu den zahllosen
SMS, die die Bundeskanzlerin zum Beispiel an Minister, andere Politiker und Mitarbeiter versendet
oder von ihnen erhält.
„Kann es angehen, dass die Kanzlerin ihre weltbewegende Korrespondenz in der Handtasche verschwinden lässt?“ fragte sich der Redakteur zunächst
selbst und gab diese Frage an den Präsidenten des
Bundesarchivs, Innenpolitiker der Koalition und der
Opposition und kurz vor Redaktionsschluss auch an
meinen Mitarbeiter weiter.
Das IFG verpflichtet die Bundesbehörden, auf Antrag den Zugang zu amtlichen Informationen zu eröffnen. Amtliche Information ist nach der Legaldefinition des § 2 Nummer 1 IFG „jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung unabhängig von der Art
ihrer Speicherung“. Das IFG erfasst somit grundsätzlich alle amtlichen Zwecken dienenden Aufzeichnungen, egal ob sie in konventionellen, d. h. auf
Papier, oder zunehmend auch elektronisch geführten
Akten gespeichert sind.
Dass die SMS, die die Bundeskanzlerin versendet
und erhält, weit überwiegend der Führung ihrer
Amtsgeschäfte dienen und insoweit nicht privat,
sondern „amtlich“ auch im Sinne des IFG sind, wird
niemand ernstlich bestreiten wollen.
Müsste die Bundeskanzlerin auch insoweit auf Antrag Transparenz des Regierungshandelns ermöglichen, womöglich sogar „in Echtzeit“, soweit nicht
für einzelne Informationen der Zugang z. B. aus
Gründen des Geheimschutzes ausgeschlossen ist?
Besteht darüber hinausgehend vielleicht sogar eine
Verpflichtung zur unverzüglichen, antragsunabhängigen proaktiven Bereitstellung der Kanzlerinnenkommunikation oder wäre eine derart weite Transparenz jedenfalls politisch wünschenswert?
Diese Fragen hat sich der Gesetzgeber ausweislich
der Begründung des Gesetzentwurfes noch nicht
gestellt, auch wenn die SMS schon im Jahre 2005
eine zunehmend genutzte Kommunikationsform war.
Nach dem Gesetzeswortlaut sollen allerdings nicht
alle amtlichen Zwecken dienenden Aufzeichnungen
dem Informationszugang auf Antrag unterliegen:
Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines
Vorganges werden sollen, gehören nach der Legaldefinition des § 2 Nummer 1 IFG nicht zu den grundsätzlich zugangspflichtigen amtlichen Informationen.
Nun sind ein- und ausgehende SMS Elemente eines
- wenn auch verbal stark reduzierten und konzentrierten - Dialoges und damit keine als „interne Gedankenstütze“ nur zum Eigengebrauch bestimmte,
oftmals provisorische Interna.
4. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Andererseits ersetzt die Kommunikation mittels SMS
zunehmend das telefonisch oder in kleinem Kreise
nicht öffentlich gesprochene Wort, das „als solches“
in der Regel flüchtig ist, nicht unbefugt aufgezeichnet werden darf und erst dann dem Informationszugang unterliegt, wenn es wegen seiner besonderen
Bedeutung schriftlich für die Akten zusammengefasst worden ist.
Im Ergebnis ist deshalb nicht jede SMS als transparenzpflichtige „amtliche Information“ i. S. d. IFG zu
bewerten.
Wesentliche Beiträge für Beratung und Entscheidungsfindung von Regierung und Verwaltung und
die z. B. von der Bundeskanzlerin und ihren „amtlichen“ Kommunikationspartnern getroffenen Entscheidungen sollten aber dauerhaft dokumentiert
werden und ihren Weg in die Akten finden, in der
Terminologie des IFG also „Bestandteil eines Vorganges werden“, und damit jedenfalls grundsätzlich
dem Informationszugang nach dem IFG oder - nach
Abgabe der Akten an das Bundesarchiv und Ablauf
eventueller Sperrfristen - nach dem Bundesarchivgesetz unterliegen.
Ein Informationszugang auf (noch) im Endgerät
gespeicherte, noch nicht „veraktete“ Kommunikation
ist dagegen nach dem IFG nicht geboten.
5.2.3
Ein Abendessen mit der Kanzlerin
- Fortschreibung
Nunmehr ist rechtskräftig entschieden: Die Gästeliste der Bundeskanzlerin ist offenzulegen, ihr Terminkalender bleibt - zumindest in diesem Fall - tabu.
Aus Anlass eines runden Geburtstages des Vorsitzenden einer großen deutschen Bank hatte die Bundeskanzlerin im April 2008 im Bundeskanzleramt ein
Abendessen mit rund 30 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Unterhaltung veranstaltet. Mit
Blick auf die Bankenkrise und eventuelle Verflechtungen von Politik und Wirtschaft hatten zwei Antragsteller beim Bundeskanzleramt Informationen zu
Planung und Durchführung dieses Abendessens begehrt; außerdem hatten sie Einsicht in den Terminkalender der Bundeskanzlerin für den Zeitraum vom
1. März bis zum 15. Mai 2008 beantragt.
In meinem 3. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit (Nr. 5.2.1) hatte ich ausführlich über das Urteil
des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. April 2011
- VG 2 K 39.10 - berichtet, das das Bundeskanzleramt verpflichtet hatte, u. a. Zugang zu der Gästeliste
sowie der Tisch- und Sitzordnung des Abendessens
durch Überlassung von Kopien in ungeschwärzter
Form zu gewähren. Einen Anspruch auf Einsicht in
den Terminkalender der Bundeskanzlerin hatte das
Verwaltungsgericht Berlin dagegen verneint.