NSU-Komplex beiträgt. Seit der Aktenvernichtung
am 11. November 2011 in Köln reden das BfV und das
Bundesinnenministerium die Bedeutung der Aktenvernichtung klein, stellen sich schützend vor den dafür
verantwortlichen BfV-Referatsleiter mit dem Tarnnamen
Lothar Lingen und blockieren noch immer eine tatsächlich umfassende parlamentarische und strafrechtliche
Aufarbeitung der Vorgänge im BfV am 11. November
2011 und danach. Dies gilt insbesondere in Bezug auf
die Kenntnisse des Referatsleiters und seiner Vorgesetzten über die Geheimdienst-Operationen, die in den
vernichteten Akten erwähnt wurden, dessen dienstliche
Befassung mit den vernichteten Vorgängen und Akten
und die Kenntnisse der Vorgesetzten über die Vernichtungsaktion sowie die fehlerhafte Aufklärung des
Sachverhalts durch den Sonderermittler des Bundesinnenministeriums.
6. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und
die Landesämter sind für eine anhaltende
Blockade einer umfassenden Aufklärung im
NSU-Komplex verantwortlich. Die beim BfV
und den Landesämtern vorherrschende Wagenburg-Mentalität ist das Gegenteil von aktiver
Aufklärung.
Das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz halten das Ausmaß, in dem Führungskader von
militanten Neonazi-Strukturen wie Blood & Honour,
Hammerskins und Freien Kameradschaften als V-Personen gewonnen und geführt wurden bis heute geheim.
Dadurch werden für die Aufklärung des NSU-Komplexes
wichtige Akten und Zeug*innen den Prozessbeteiligten in dem Verfahren gegen Zschäpe u.a. vor dem
OLG München und den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen immer nur dann bekannt, wenn
Journalist*innen und/oder antifaschistische Recherchen diese V-Leute öffentlich machen.
Auch gegenüber dem zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat das Bundesamt für
Verfassungsschutz zur Aufklärung wichtige Informationen über seine Zugänge zu den Unterstützer*innenStrukturen des NSU zurückgehalten: Dies gilt insbesondere für den Fall von Stephan L., dem langjährigen
Divisionsleiter des Blood & Honour Netzwerks in
Deutschland und mutmaßlichen V-Mann »Nias« des BfV.
Die Verantwortung hierfür tragen Bundesinnenminister
Thomas de Maizière und BfV-Präsident Hans-Georg
Maaßen, denen der Schutz der Geheimdienste wichtiger ist als das Versprechen bedingungsloser Aufklärung
von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Staatsakt für
die Opfer des NSU.
Durch das BfV und die Landesämter für Verfassungsschutz wurden zudem Akten relevanter V-Leute entweder erst nach Medienrecherchen vorgelegt: Wie
beispielswese im Fall des V-Mannes Roland S. des LfV
Baden-Württemberg oder L.M. des Verfassungsschutzes NRW – oder nur massiv geschwärzt, wie im Fall
des VM 340 und weiterer von Andreas Temme, V-Mann
Führer des LfV Hessen mitgeführter Quellen im Bereich
des Rechtsextremismus.
Manifester Ausdruck der Blockade des Versprechens
rückhaltloser Aufklärung von Bundeskanzlerin Angela
Merkel waren auch im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss zudem die langsame Bearbeitung der
Beweisbeschlüsse durch das BfV und die Landesämter
für Verfassungsschutz, der hohe Anteil an bis zum
Abschluss der Beweisaufnahme geschwärzten bzw.
geweißten Akten sowie Geheimdienstmitarbeiter*innen,
die als Zeug*innen wenig Erinnerungsvermögen bzw.
-bereitschaft zeigten.
Innerhalb der Abteilung II2 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, insbesondere in den Organisationseinheiten, die für die Werbung und Führung von V-Personen
zuständig waren, herrschte in den 1990er und 2000er
Jahren ein Selbstverständnis, das zu einer dramatischen
Distanzlosigkeit der eingeschworenen kleinen Gruppe
der V-Mannführer bis hin zu Kumpanei mit V-Personen
wie »Tarif«, »Primus«, »Corelli« und »Strontium« führte.
Der damit einhergehende Korpsgeist spiegelt sich u.a.
darin wider, dass rechtswidriges Verhalten von VLeuten konsequenzlos blieb. Akten von V-Personen wie
»Primus« konnten vor der gesetzlichen Frist vernichtet
werden oder wie im Fall »Teleskop« »verschwinden«. Der
langjährige Referatsleiter Lothar Lingen konnte am 10.
November 2011 ohne großen Widerstand im großen Umfang die Vernichtung von Akten anordnen. Die für den
NSU-Komplex zuständige so genannte »Lageorientierte
Sondereinheit« (LoS) des BfV konnte Aktenzulieferungen an den ersten NSU-Untersuchungsausschuss und
die Strafverfolgungsbehörden wie im Fall M. erheblich
verzögern und auch ganz verhindern.
Dieser Korpsgeist zeigte sich auch in dem lediglich aufs
Nötigste beschränkte Aussageverhalten der großen
Mehrheit der BfV-Zeug*innen vor dem ersten und zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages.
Die beim BfV und den Landesämtern vorherrschende
Wagenburg-Mentalität ist das Gegenteil von aktiver
Aufklärung.
7. Mithilfe des V-Leute-Systems und des Prinzips »Quellenschutz vor Strafverfolgung«
gelang der überschaubaren Neonaziszene der
frühen 1990er Jahre der Sprung zur NeonaziBewegung ab Ende der 1990er Jahre.
Das BfV hat mit den V-Leuten Thomas R. alias »Corelli«,
Mirko H. alias »Strontium«, M. alias »Primus«, Michael
S. alias »Tarif« systematisch sehr junge, vorbestrafte,
ökonomisch von den Zahlungen des BfV abhängige
Führungsaktivisten in militanten Neonaziorganisationen
und -netzwerken wie u.a. Blood&Honour, Combat 18
und Hammerskins als V-Personen verpflichtet, die als
bezahlte de facto Vollzeitaktivisten mit Publikationen
und/oder entsprechenden Internetauftritten ihren
Einfluss, ihre Position und ihre Reichweite innerhalb
der Neonaziszene ausbauten und an denen sich andere
militante Neonazis orientierten. Mithilfe dieser Vollzeitaktivisten und des Prinzips »Quellenschutz vor Strafverfolgung« entstanden extrem rechte Erlebniswelten und
neonazistische Strukturen, die auch nach der Enttarnung der V-Leute weiterbestehen.
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