Die Geheimdienste trugen durch das V-Leute-System
der 1990er Jahre und zur Jahrtausendwende entscheidend zum Aufbau eben jener Neonazistrukturen bei, die
die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund«
und andere neonazistische Terror-Zellen unterstützten.
Mit V-Leuten wie »Tarif«, »Corelli«, »Piatto« oder L.M.
und Sebastian S. des LfV Nordrhein-Westfalen waren
die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder hautnah über den Auf- und Ausbau militanter und
terroristischer Neonazistrukturen wie beispielsweise
Combat 18 informiert. Denn die Verfassungsschutzämter gingen in den 1990er und 2000er Jahren nach dem
Prinzip vor, über die Rekrutierung und Führung von
wichtiger Aktivisten »die Neonaziszene unter Kontrolle
zu behalten«, wie es der stellvertretende Leiter des
NRW-Verfassungsschutzes vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages von Nordrhein-Westfalen
formulierte.
ten Suche müssen wir demzufolge auch nicht mehr explizit Stellung nehmen (die übersandte CD ist uns bisher
nicht bekannt gewesen und wäre bei der seinerzeitigen
Sichtung auch aufgefallen). Wie auch immer geartete
‚Corelli-Bezüge/-Thematisierung‘ nach Möglichkeit ganz
außen vor lassen.« 1
8. Die Fraktion DIE LINKE kann nicht abschließend beurteilen, welche Maßnahmen und Operationen im Bundesamt für Verfassungsschutz
durchgeführt wurden, als dort ab der Jahrtausendwende Informationen über die Existenz
des NSU eingingen.
9. Die Ermittlungen zu V-Leuten und mutmaßlichen weiteren Unterstützer*innen im Netzwerk
des NSU sind lückenhaft.
Es bleibt auch nach der Beweisaufnahme unklar, ob
bzw. welche Maßnahmen und Operationen in der Abteilung II2 Rechtsextremismus des BfV eingeleitet wurden,
nachdem die jeweils durch den V-Mann Thomas R. alias
»Corelli« für das BfV beschafften Hinweise auf einen
»Nationalsozialistischen Untergrund/NSU« – durch
die Ausgabe des Neonazihefts »Weißer Wolf« Nr. 18 im
Jahr 2002 und durch die so genannte NSU/NSDAP-CD
im Jahr 2005 – im Bundesamt für Verfassungsschutz
eingingen. Die CD wurde mit dem folgenden Einleitungsschreiben eines »Nationalsozialistischen Untergrunds der NSDAP« versandt: »Heil Euch Kameraden
und Kameradinnen, die Zeit ist mehr als überreif, daß wir
alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen um für
unsere Weltanschauung zu werben. (...). Vor Euch liegt
nun die erste umfangreiche Bilddaten-CD des Nationalsozialistischen Untergrunds der NSDAP (NSU). (...)
Kopiert sie und gebt sie an Kameraden weiter. (...) Eure
Rechner sind nicht für jüdische Spiele da, kämpft mit
ihnen, macht sie zu Waffen! (...) Nationalsozialistischer
Untergrund der NSDAP«.
Die Fraktion DIE LINKE weist daraufhin, dass das BfV
sowohl die Existenz des »Weißen Wolfes« Nr. 18/2002
als auch der NSU/NSDAP CD der Öffentlichkeit vorenthalten wollte. Die Ausgabe Nr. 18 des »Weißen Wolfes«
gilt in der Auswertungsabteilung des BfV als unauffindbar, sie wurde durch das Antifaschistische Pressearchiv
und Bildungszentrum (apabiz) e.V. öffentlich bekannt.
Auch die Existenz der NSU/NSDAP CD im BfV wurde
erst durch das BKA bekannt, nachdem das BfV wenige Tage nach dem Tod von Thomas R. alias V-Mann
»Corelli« im April 2014 zunächst laut dem Bericht des
Sachverständigen der PKGr, Jerzy Montag, erklärt hatte:
»Im Rahmen der NSU-Aufarbeitung sind alle NSU-Bezüge
geprüft worden. CDs mit ‚NSU-Bezügen’ sind dabei nicht
gefunden worden.« (...) »Zu einer erneuten zielgerichte8
Nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE ist es nicht
ausgeschlossen, dass die NSU/NSDAP-CD durch den
V-Mann »Corelli« des BfV verbreitet werden sollte, weil
das BfV seit der Ausgabe 18/2002 des Weißen Wolfs
mit dem »Dank an den NSU, es hat Früchte getragen«
Kenntnis von der Existenz eines »NSU« hatte und weitere Informationen durch die Verbreitung dieser CD durch
den V-Mann beschaffen wollte. Die Befragungen weiterer Zeug*innen durch BKA und Bundesanwaltschaft zu
diesem Sachverhalt waren oberflächlich und schlecht
vorbereitet.
Die lückenhaften und verzögerten Ermittlungen u.a. zu
den V-Leuten »Primus«, Carsten Szczepanski und L.
M. und den mit ihnen verknüpften Komplexen gehören
zu den offensichtlichsten Beispielen dafür, dass der
Generalbundesanwalt das geheimdienstliche Prinzip
»Quellenschutz vor Strafverfolgung« mitträgt.
Dazu gehört auch, dass die von der Fraktion DIE LINKE
als mögliche Manipulation von Akten gewertete Lücke in
den TKÜ-Daten der Kommunikation von Jan Werner am
26./27. August 1998 nach dessen Frage an den V-Mann
»Piatto« des LfV Brandenburg »Wo bleibt der Bums« erst
durch die Beweisaufnahme des NSU-Untersuchungsausschusses der 18. WP bekannt wurde, obwohl diese Lücke
die Akten sämtlicher Verfahrensbeteiligter betrifft und
vom BKA und Bundesanwaltschaft spätestens anlässlich
einer Zusammenkunft von BfV, LfV Brandenburg und
GBA im Januar 2013 zu eben dieser Kommunikation vor
der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung von Carsten
Sczepanksi alias V-Mann »Piatto« hätte bemerkt werden
müssen.
10. Die frühen Festlegungen auf ein vermeintlich abgeschottetes Trio Uwe Böhnhardt,
Uwe Mundlos und Beate Zschäpe und die
wenigen durch den Generalbundesanwalt
angeklagten Unterstützer*innen führen unter
Umständen dazu, dass mutmaßliche weitere
Unterstützer*innen des NSU-Netzwerks straffrei bleiben werden.
Diese frühzeitige Festlegung auf einen »räumlich und
personell abgeschotteten Zusammenschluss« durch
die Anklage im Prozess gegen Beate Zschäpe et al am
OLG München führte u.a. dazu, dass beispielsweise die
Aktivitäten der Combat 18 Zelle in Dortmund mit dem
V-Mann des LfV NRW Sebastian S. und dem langjährigen Neonazikader Marco G., die sich zeitgleich zum
1
vgl. BT-Drs. 18/6545, S. 14, http://bit.ly/2kx8It4