einen Thüringer Neonazi gehandelt, der sich an das
Aussteigerprogramm des BfV gewandt habe. Auf eine
schriftliche Frage der Abgeordneten Martina Renner/
DIE LINKE teilte die Bundesregierung zur Gesamtzahl
in der Abteilung Rechtsextremismus verschwundener
Akten mit, dass es sich um eine Zahl im einstelligen
Bereich handele. Die Fraktion DIE LINKE stellt fest,
dass »Teleskop« in dem seinerzeit vom Referatsleiter
Lothar Lingen verantwortlich betreuten Aussteigerprogramm des BfV geführt wurde.
1.4. Aufklärungsblockade durch Vorenthalten
von Akten und V-Leuten im NSU-Komplex
Zum Beispiel: Stephan L. alias V-Mann »Nias« des BfV
Zu den weiteren V-Leuten des BfV im Umfeld des
mutmaßlichen NSU-Kerntrios und seiner engen
Unterstützer*innen gehörte nach Medienberichten,
die sich auf Angaben »aus Sicherheitskreisen« u.a. im
Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) berufen und
erst nach dem Ende der Beweisaufnahme des NSUUntersuchungsausschusses bekannt wurden, auch
Stephan L., der langjährige Chef der »Blood&Honour«
Division Deutschland.
Medienberichte über den mutmaßlichen Zeitraum, in
dem Stephan L. als V-Mann des BfV Informationen
geliefert haben soll, variieren zwischen 1997 und 2002.123
Stephan L. gehörte zu den Gründungsmitgliedern der
Berliner Sektion von »Blood&Honour«, die wiederum
1994 zu den ersten Sektionen des internationalen Netzwerks in Deutschland gehörte und aufs Engste mit der
als kriminelle Organisation verurteilten Neonazi-Band
»Landser« und den »Vandalen« verbunden war. Stephan
L. war seit 1996 bis zu deren Verbot im September
2000 Chef der »Blood&Honour« Division Deutschland
gewesen und hatte u.a. auch das deutsche Blood &
Magazin herausgegeben. In der am 26. Januar 1998 in
Jena durchsuchten Garage Nr. 5 wurde die von Stephan
L. als Divisionsleiter Deutschland von »Blood&Honour«
erstellte Ausgabe Nr. 2/96 des »Blood&Honour« Magazins sichergestellt. Darin war unter der Überschrift
»Politik« ein Artikel veröffentlicht, in dem es unter
anderem hieß: »Vergegenwärtigen wir uns doch einmal
was das Fremdwort ,Politik‘ eigentlich bedeutet. Wenn im
Bonner Schwätzerparlament über irgendwelche Steuern
geschwafelt wird, nennt man das Politik. [...] Man muss
sich nicht jeden Tag in Uniform schmeißen, ‚Sieg Heil‘
brüllend und Flugblätter um sich werfend durch die
Gegend ziehen. Das nutzt natürlich unseren Gegnern.
Man braucht auch nicht in seinen eigenen vier Wänden
hocken und bei Kerzenschein auf den Umsturz warten...
Gelingt es uns, mit Phantasie und Humor, aber auch mit
der nötigen Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit, eine
nicht angreifbare, gut vernetzte Bewegung von unabhängig agierenden Gruppen zu werden, so wird uns das
Schicksal den Sieg nicht versagen. Nur: Wir dürfen nicht
auf einen eventuell irgendwann mal auftauchenden FühVgl. Tagesspiegel Online vom 16. Mai 2016, Ex-Deutschland Chef von
»Blood&Honour« war als V-Mann tätig« von Frank Jansen,
http://bit.ly/2z9vWZB
123
rer warten, darauf das immer jemand kommt und sagt,
was zu tun ist. Nein! Jeder ist dazu aufgerufen, etwas zu
tun! LEADERLESS RESISTANCE ist die Devise!«124
Medienrecherchen zufolge hatte Thomas Starke im
November 2000 bei einem Treffen mit seinem VP-Führer
als Quelle 562 des LKA Berlin darüber berichtet, dass
Stephan L. in der Neonaziszene unter Spitzelverdacht
stehe, da er bei einem Strafverfahren eine vergleichsweise milde Strafe von umgerechnet 1.500 Euro erhalten
habe. Daraufhin habe das LKA Berlin wörtlich vermerkt,
der Deutschland-Chef von Blood and Honour sei durch
das LKA 514 an das BfV vermittelt worden. Es sei anzunehmen, dass dies im anhängigen Strafverfahren dafür
sorgte, dass die Entscheidung für den Erlass eines
Ordnungsgeldes der einer Verurteilung vorgezogen
worden sei.125
Stephan L. war ab Mitte der 1990er Jahre sowohl
deutschlandweit als auch international einer der zentralen Führungskader für »Blood&Honour« mit besten
Kontakten zu militanten Neonazis in Großbritannien,
Schweden, Norwegen und Dänemark.126
In Deutschland war Stephan L. in den 1990er Jahren
insbesondere in Berlin, Brandenburg, Sachsen und
Thüringen extrem gut vernetzt: Die TKÜ-Daten des
LKA Thüringen aus den Jahren 1998 und 1999, die bei
der Überwachung von Jan Werner, Thomas Starke
und anderen Chemnitzer »Blood&Honour« Aktivisten
bei der Suche nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe
entstanden und dem Untersuchungsausschuss zur
Verfügung stehen, belegen u.a. die engen Beziehungen
zwischen Stephan L. und Carsten Szczepanski sowie
Jan Werner, dem sächsischen »Blood&Honour« Sektionschef. In den zeitweise parallel laufenden Ermittlungen des Generalbundesanwalts und des LKA Berlin
gegen die Neonaziband »Landser« wurde auch deutlich,
dass es zwar Spannungen zwischen den sächsischen
»Blood&Honour« Aktivisten um Jan Werner und Thomas Starke einerseits und der Berlin-Brandenburger
»Blood&Honour« Sektion andererseits um die Verteilung der Profite aus Neonazikonzerten und CD-Einnahmen gegeben hatte. Die persönlichen Beziehungen der
sächsischen Aktivisten und Stephan L. waren davon
jedoch nicht betroffen.
Dies bestätigte Stephan L. auch in seiner Aussage
vor dem OLG München, indem er betonte, dass es bei
dem Streit zwischen der sächsischen »Blood&Honour«
Sektion und dem Gesamtnetzwerk um die Verteilung
des Geldes gegangen, seine persönliche Freundschaft
zu Jan Werner davon aber nicht berührt worden sei und
er mit diesem auch bis 2012 Kontakt hatte. Ansonsten
verharmloste L. »Blood&Honour« als reine Musikbewegung127 und bestritt, dass Gewalt gegen den politischen
Gegner oder Konzepte wie der führerlose Widervgl. BT-Drs. 17/14600, S. 158, Blood&Honour Division Deutschland,
Ausgabe 2/96; MAT A BMI-3/0018, PDF-Bl. 183.
125
vgl. Blood&Honour: Ex-Deutschland Chef als V-Mann? Tagesschau
Online vom 16.5.2017, http://bit.ly/2y6Womv
126
http://bit.ly/2yA0eHP
127
vgl. http://bit.ly/2fVu1iO
124
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