über 40-jährige Marcel D. – ehemaliger Sektionsleiter
von »Blood&Honour« Thüringen und Kassenwart der
deutschen Division von »Blood&Honour« bis zu deren
Verbot – in seiner ersten Vernehmungen als Zeuge vor
dem OLG München Anfang März 2015 zur sichtbaren
Überraschung der Prozessbeteiligten. Doch obwohl ihm
die Aussagegenehmigung des Thüringischen Landesamts für Verfassungsschutz durch die Prozessbeteiligten
vorgehalten wurde, blieb der »selbstständige Unternehmer in der Kommunikationsbranche« bei seiner Behauptung, er sei kein Neonazi-Spitzel gewesen und habe das
Trio nicht unterstützt. Nachdem die Staatsanwaltschaft
München ein Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher
Falschaussage gegen ihn im September 2016 einleitete, gab Marcel D. in seiner späteren Vernehmung mit
Verweis auf das laufende Ermittlungsverfahren an,
jegliche Aussage zu der Frage zu verweigern. Zuletzt
bestätigte im September 2016 ein Schriftgutachter als
Sachverständiger vor dem OLG München, dass es sich
bei der Unterschrift unter die Verpflichtungserklärung
als V-Mann des LfV Thüringen aus dem Jahr 1999 um die
Unterschrift von Marcel D. handelt.106
Auch in seiner Vernehmung beim Bundeskriminalamt
hatte Marcel D. seine V-Mann-Tätigkeit geleugnet. Die
Einschätzung der Beamten zum Wahrheitsgehalt dieser
Aussage fällt eindeutig aus: D. erwecke »nicht den Eindruck, an der Wahrheitsfindung im hiesigen Ermittlungsverfahren aktiv mitwirken zu wollen, insbesondere wenn
es konkret wurde«, heißt es in einem BKA-Vermerk,
der dem Untersuchungsausschuss vorliegt. Vor dem
Hintergrund seiner »Tätigkeit als Quelle beim Thüringer
Verfassungsschutz, in welcher er nachweislich u.a. in
die Maßnahmen zur Aufenthaltsfeststellung des Trios
eingebunden war, sowie vor dem Gesichtspunkt, dass er
eine leitende Position in der »Blood&Honour«-Szene inne
hatte«, erscheint es dem BKA nicht schlüssig, dass Marcel D. sowohl zu jeglichen relevanten Kontaktpersonen
des Trios, als auch zu Themen wie Waffenbeschaffung
in der rechten Szene keine Auskünfte gab.
Zahlreiche bei Marcel D. im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens im Juni 2001 beschlagnahmte Notizzettel
und zwei Adressbücher, die schon dem ersten NSUUntersuchungsausschuss des Bundestages der 17.
Wahlperiode vorlagen, belegen nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE jedoch deutlich die engen Verbindungen
zwischen Marcel D., dem langjährigen VM 2100 und
»Blood&Honour«-Führungskader, sowie dem Netzwerk
der Unterstützer*innen des NSU. Im Juni 2001 hatten
Beamte des LKA Thüringen die Wohnung von Marcel D.
durchsucht. Sie beschlagnahmten dabei einen Computer, Notizzettel und eine Adresssammlung, in denen
sich alphabetisch geordnet das »Who is Who« der Führungskader aus den Netzwerken von »Blood&Honour«
und der »Hammerskins« im In- und Ausland findet, wie
beispielsweise auch die Telefonnummer von M. alias
V-Mann »Primus« aus Zwickau.

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http://bit.ly/2go1zac

Auffällig ist auch der hohe Grad an Übereinstimmung
zwischen der bei Marcel D. beschlagnahmten Adresssammlung107 und der so genannten Mundlos-Adressliste
mit rund 30 Namen und Telefonnummern von Neonazis
aus dem gesamten Bundesgebiet, die im Januar 1998
bei der Durchsuchung der Garage Nr. 5 in Jena gefunden wurden, aber erst im November 2011 nach der
Selbstenttarnung des NSU ausgewertet wurde. In beiden Adresssammlungen finden sich sowohl der wegen
Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in München angeklagte Holger G. ebenso wie der Angeklagte
Ralf Wohlleben und auch Sven R., der mit Böhnhardt
Anfang der 1990er Jahre in einer Zelle im Jugendknast
gesessen hatte und 1999 mit weiteren Neonazis bei
einem bewaffneten Überfall auf einen Geldtransporter
in Thüringen knapp 70.000 Mark erbeutete. Auch Andreas S., über dessen Neonazi-Laden »Madley« in Jena
nach Ansicht des Generalbundesanwalts die Mordwaffe
in der rassistischen Mordserie an das untergetauchte
Trio geliefert wurde, ist in beiden Verzeichnissen mit
Telefonnummern vermerkt.
Die Adressverzeichnisse, die bei Marcel D. beschlagnahmt wurden, unterstreichen die Einschätzung des
BKA, der ehemalige Thüringer »Blood&Honour«-Führungskader wolle nicht zur Wahrheitsfindung beitragen.
Beispielsweise hatte D. bei seiner BKA-Vernehmung
im September 2012 vehement abgestritten, den wegen Unterstützung des NSU vor dem OLG München
Angeklagten André Eminger zu kennen. In Marcel D.’s
Adressverzeichnis jedoch findet sich André Eminger mit
dem Zusatz »Johanngeorgenstadt« und einer Mobiltelefonnummer. Auch Thomas Starke sagte in seiner
Beschuldigtenvernehmung vom 10. Februar 2012, André
Eminger habe Kontakte zu Marcel D., genannt »Riese«,
von »Blood&Honour« Thüringen gehabt.
Zu seinen Kontakten mit den sächsischen Unterstützern und Unterstützerinnen des ab Januar
1998 zunächst in Chemnitz durch »Blood&Honour«Aktivist*innen wie Thomas Starke untergebrachten
Trios wollte sich Marcel D. vor Gericht und beim BKA
kaum äußern. Dabei belegen die bei ihm beschlagnahmten Adresssammlungen nicht alleine, dass es
kaum ein Mitglied der »Blood&Honour«-Gruppe in
Chemnitz gab, dessen Mobiltelefonnummer Marcel D.
nicht in seinem Besitz hatte. Die Zielfahndung des LKA
Thüringen hatte in Telefonüberwachungsmaßnahmen
bei der Suche nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe schon im August 1998 mehrere längere Telefonate
zwischen Marcel D. und Hendrik L. aus Chemnitz
festgestellt. Hendrik L. hatte in seiner BKA Vernehmung
und auch als Zeuge im Prozess gegen Beate Zschäpe
am OLG München seine Freundschaft mit Uwe Mundlos
und Besuche in einer konspirativen Wohnung des Trios
in Chemnitz eingeräumt. Auch Telefonate zwischen
Marcel D. und dem damaligen Neonaziladen-Betreiber
Michael P. aus Limbach-Oberfrohna fielen den Thüringer Zielfahndern 1998 auf. Gegen dessen damalige
Ehefrau Antje P. ermittelt heute die Bundesanwaltschaft
ebenfalls als mutmaßliche Unterstützerin des NSU. Die
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vgl. http://bit.ly/2xtSGGm

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