Bundesanwaltschaft vermutet, dass sie Beate Zschäpe
u.a. ihren Reisepass zur Verfügung stellen wollte. Und
mit Max-Florian B. aus Chemnitz, der dem Trio ebenfalls Unterschlupf gewährt hatte und seine Ausweispapiere zum Anmieten von Wohnungen und einem
Konto zur Verfügung gestellt hatte, war Marcel D. bei
einer »Blood&Honour«-Bus-Tour zu einem Aufmarsch
zu Ehren der ungarischen Mitglieder der Waffen-SS in
Budapest im Februar 1998 angereist.
tember 2000 offenbar eine Art von Buchführung für das
»Blood&Honour«-Neonazinetzwerk schriftlich fixiert.
Auch die Praxis, auf Telefonzellen auszuweichen, um
Überwachungsmaßnahmen von Polizei und Geheimdiensten zu unterlaufen, teilte Marcel D. offensichtlich
mit dem mutmaßlichen NSU-Kerntrio und seinen engen
Unterstützer*innen: Denn in Marcel D’s Adressbuch
findet sich eine durchnummerierte Liste von mehreren
Telefonzellen und deren Nummern.
Lediglich seine Freundschaft mit Thomas Starke räumte
Marcel D. bei seiner BKA Vernehmung ein. Circa alle
zwei Wochen habe er Thomas Starke damals getroffen.
Starke, der wichtigste Quartiermacher des abgetauchten mutmaßlichen NSU-Kerntrios in Chemnitz, war seit
den frühen 1990er Jahren eng mit Uwe Mundlos, Uwe
Böhnhardt und Beate Zschäpe befreundet und zeitweise mit Zschäpe liiert gewesen. Er hatte Uwe Mundlos
auch den Sprengstoff für die 1998 in Jena gefundenen
Rohrbomben beschafft.
In seiner Vernehmung beim BKA erklärte Marcel D., er
könne nicht ausschließen, dass er Böhnhardt, Mundlos
und Zschäpe mal bei einem Konzert begegnet sei. Als
Zeuge vor dem OLG München hingegen verneinte Marcel D. jegliches Kennverhältnis.
Im November 1999 bot Marcel D. laut einer DeckblattMeldung des Thüringischen Landesamtes für Verfassungsschutz am Rand eines von ihm organisierten
Konzerts mit über 1.000 Neonazis in Schorba seinem
Freund Thomas S. Geld für das abgetauchte Trio an.
Wörtlich heißt es in der Deckblattmeldung des LfV Thüringen: »Beim Treff am 20.11.1999 wurde auf Nachfrage zu
Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos von VM 2100 mitgeteilt,
dass Thomas Starke, aus Dresden, »Blood&Honour«Mitglied in Sachsen, beim Skinheadkonzert am 13.11.1999
in Schorba von dem »Blood&Honour«-Sektionsführer
‚Riese‘ eine finanzielle Spende für die ‚Drei‘ angeboten
worden sei, worauf er spontan geantwortet habe, dass
die ‚Drei‘ kein Geld mehr brauchen würden, weil sie
‚jobben‘ würden. Weitere Angaben seien von Starke nicht
gemacht worden und von ‚Riese‘ keine weiteren Fragen
zu den ‚Drei‘ an Starke gestellt worden.«108
Marcel D. hatte schon ein halbes Jahr vorher Geld für
das Trio am Rand eines Konzerts gesammelt. In einem
Telefonat mit dem V-Mann Tino Brandt hatte Uwe
Böhnhardt sich im März 1999 beschwert, dass eine
Spende in Höhe von 1.000 D-Mark aus den Einnahmen
eines Konzertes nicht bei ihnen angekommen sei.109
Und aus einem weiteren Vermerk des LfV Thüringen
vom 9. September 1998, die als Quelle den V-Mann
2100 mit Fallnamen »Riese« benennt, geht hervor, dass
im Frühsommer des Jahres 1998 bei einem Konzert im
Treffpunkt des THS Spenden für das Trio gesammelt
wurden. André Kapke, ein enger Wegbegleiter des
Trios, hätte später Marcel D. mitgeteilt, dass das Geld
– 700 D-Mark – angekommen sei. Im Adressbuch von
Marcel D. war diese Zahlung auch in einer Sammlung
von Geldzahlungen an andere Neonazis sogar unter
der handschriftlichen Notiz »3 ca. 700,-« vermerkt.110 In
den beschlagnahmten Unterlagen hatte Marcel D. als
»Kassenwart« und einer von drei zentralen Führungskadern von »Blood&Honour« vor dem Verbot im Sepvgl. Kapitel Maßnahmen nach dem Abtauchen von Uwe Böhnhardt,
Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im Feststellungsteil
109
ebenda
110
vgl. http://bit.ly/2xtSGGm
108
40
Medien berichten jedoch von einem Aussteiger, der erklärt hatte, die Freundschaft zwischen Uwe Böhnhardt
und Marcel D. sei szenebekannt gewesen. Als Uwe
Böhnhardt 1997 wegen des Verdachts festgenommen
wurde, eine Puppe mit Bombenattrappe und Davidstern
anlässlich des Besuchs des damaligen Vorsitzenden
des Zentralrats der Juden in Deutschland Ignatz Bubis
in Weimar und Buchenwald an einer Autobahnbrücke
an der A 4 angebracht zu haben, habe Marcel D. Uwe
Böhnhardt zu seinem damaligen Rechtsanwalt Thaut in
Gera mitgenommen. Im Prozess um den Puppentorso
vertrat Rechtsanwalt Thaut dann Uwe Böhnhardt auch
zunächst erfolgreich.
Die Eltern von Uwe Böhnhardt beauftragten Rechtsanwalt Thaut 1998 für die letztendlich erfolglosen
Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft Gera zu der
Frage, ob sich das Trio nach seiner Flucht im Januar
1998 den Strafverfolgungsbehörden stellen würde. Das
LfV Thüringen hatte den Kontakt zu Rechtsanwalt Thaut
hergestellt und bezahlte auch dessen Rechnung.
Im Jahr 2001 klagte Rechtsanwalt Thaut dann für Marcel
D. - erfolglos - gegen das »Blood&Honour«-Verbot.111
Diese Klage habe letztendlich zur Abschaltung von
VM »2100/Hagel« geführt, hatten vor dem Thüringer
Untersuchungsausschuss zum NSU mehrere hochrangige Verfassungsschutzmitarbeiter des LfV Thüringen
ausgesagt. Schließlich stand auch der Verdacht im
Raum, dass einer der Beamten seinen V-Mann vor
den Durchsuchungsmaßnahmen im Zusammenhang
mit dem »Blood&Honour«-Verbot im September 2000
gewarnt hatte. »Vor Ort stand ein PC-Monitor, ein PCKeyboard und ein eingeschalteter Drucker sowie ein
Funkscanner, aber kein Computer«, stellten die Beamten
anschließend fest. 112
Vor dem ersten Thüringer Untersuchungsausschuss
hatte Marcel D.’s ehemaliger V-Mann-Führer Jürgen
Zweigert ausgesagt, er habe sich mehr als 150 Mal
in den Jahren 1997 bis 2001 mit V-Mann »2100/Hagel«
getroffen. Norbert Wiesner, Zweigerts damaliger
Vorgesetzter, erklärte, »VM 2100« habe Informationen
vgl. Urteil BVerwG 6 A 1.01 vom 13. Juni 2001 Marcel D. für
»Blood&Honour«, Mike Bär für White Youth, Prozessbevollmächtigter
Gerd Thaut .
112
vgl. http://bit.ly/2xtSGGm
111