d) Auch wenn das BfV nach eigener Auskunft keine
Sachakte zum Bauservice M. geführt haben will,
so ist es nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE nicht
auszuschließen, dass es sich bei der Baufirma des
M. um eine vom BfV beförderte Scheinfirma handelte. Denn mit dem Bauservice M. verfügte M. – und
damit das BfV – über aktuelle Informationen über 25
militante Neonazis aus unterschiedlichen Strukturen
und Gruppen in Sachsen.
e) Die Fraktion DIE LINKE ist darüber hinaus skeptisch,
ob M. nach seiner offiziellen Abschaltung im September 2002 als V-Mann des BfV tatsächlich bis 2012,
als er erstmals in den Fokus der Ermittlungen zum
Nationalsozialistischen Untergrund geriet und sein
ehemaliger V-Mann Führer Richard Kaldrack den
Kontakt nach eigenen Angaben u.a. in acht Telefonaten und mit einem Besuch bei M. wieder aufnahm,
keinerlei Kontakte und Informationsgespräche mehr
mit Mitarbeitern des BfV hatte.
f) Aus Sicht der Fraktion DIE LINKE ist die Vernichtung
der P-Akte von M. irregulär und durch keine Frist
begründet gewesen.
g) M. wurde nach Angaben des V-Mann Führers im
September 2002 als V-Mann des BfV abgeschaltet. Er
hielt sich bis 2007 weiterhin in Zwickau auf und war
nach Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses bis zum Juli 2007, als er Zwickau verließ, auch
weiterhin in der rechten Szene aktiv und Gegenstand
einschlägiger Ermittlungsverfahren, die automatisch
zu einer weiteren Speicherung in NADIS führten. Am
6. Januar 2003 leitete die Staatsanwaltschaft Zwickau
ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoß gegen § 130
StGB im Zusammenhang mit der CD »Titel zensiert«
von »Westsachsengesocks« gegen M. ein. Im April
2003 wurde seine Wohnung durchsucht und einschlägiges Material beschlagnahmt. Im Juni 2003 erhob die
Staatsanwaltschaft Zwickau Anklage gegen M., das
Verfahren wurde durch Entscheidung des OLG Dresden in 2004 nicht eröffnet. Im November 2004 kam es
zur Hauptverhandlung wegen des Vertriebs von 200
CDs »Ran an den Feind« der Band »Landser« vor dem
Landgericht Dresden, bei der M. 2005 freigesprochen
wurde, obwohl die Ermittlungsbehörden festgestellt
hatten, dass M. 200 dieser CDs bestellt und verkauft
hatte. Sein langjähriger V-Mann-Führer Richard Kaldrack hatte dazu vor dem Untersuchungsausschuss
der 17. Wahlperiode erklärt, das BfV habe vorgehabt,
die CDs vom Markt zu nehmen, allerdings, so Kaldrack weiter: »Die waren halt schon verkauft. Er (M.)
hat mir das selber gebeichtet, bevor uns das Ermittlungsverfahren bekannt wurde.«104 Am 16. Januar 2006
meldete M. beim Gewerbeamt Zwickau ein neues Gewerbe an, Chickita Patchwear, um u.a. die KleidungsMarke »Barstool Sports« zu vertreiben. Diese bei
Neonazis und in der rechten Kampfsportszene beliebte Marke wurde u.a. sowohl von Oliver R., einem
damaligen Geschäftspartner von M. und stadtbekannten extrem rechten Aktivisten aus Leipzig sowie
104
vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 278f.
38
von Marco H., einem ehemaligen Angestellten von M.
in dessen Laden »Last Resort Shop« und im Bauservice M., im »Eastwear« in Zwickau verkauft. Oliver
R. war bis 2011 im Impressum der Internetpräsenz
von »Barstool Sports« als Marken-Inhaber benannt,
während die dazugehörige Domain bis dahin auf M.
registriert war. M. bewarb die Marke zudem u.a. mit
Neonazis aus Leipzig und Zwickau auch bis Ende 2014
in einem Video auf Youtube. Die Anmeldung und der
Vertrieb der Marke »Barstool Sports« hätte nach allen
vorliegenden Informationen zur weiteren Speicherung von M. in NADIS führen müssen.
1.2. Marcel D. alias V-Mann Hagel/VM 2100 des
LfV Thüringen
Die Fraktion DIE LINKE hatte u.a. auf einen zweiten
NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag gedrängt,
weil im April 2015 durch eine mündliche Frage der
Abgeordneten Martina Renner bekannt wurde, dass
das BfV die dort vorliegenden 70 Deckblattmeldungen
des langjährigen V-Mannes des LfV Thüringen Marcel
D. alias »VM 2100/VM Hagel« sowie eine unbekannte
Anzahl weiterer Akten dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages vorenthalten
hatte. 105
Die Fraktion DIE LINKE hält es für nicht ausgeschlossen, dass das BfV das Ausmaß der Verbindungen
zwischen M. alias V-Mann »Primus” und Marcel D. alias
»VM 2100« gegenüber den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen verschleiern will. Denn das BfV
hat auch dem zweiten NSU-Untersuchungsausschuss
des Bundestages der 18. Wahlperiode keine der in Köln
vorhandenen Deckblattmeldungen von »VM 2100« vorgelegt und stattdessen auf das LfV Thüringen verwiesen.
Dessen Aktenvorlage zu »VM 2100« an den zweiten NSUUntersuchungsausschuss umfasste keine 70 Deckblattmeldungen und blieb lückenhaft.
Schon bei seiner BKA-Vernehmung in 2012 und auch
Anfang März 2015 vor dem OLG München hatte Marcel
D. sowohl geleugnet, das mutmaßliche NSU-Kerntrio
zu kennen als auch der V-Mann mit dem Decknamen
»2100/Hagel« gewesen zu sein. Laut dem Bericht der
Schäfer-Kommission, die unmittelbar nach der Selbstenttarnung des NSU-Netzwerks eine erste Untersuchung von Maßnahmen des Thüringischen Landesamtes für Verfassungsschutz und des LKA Thüringen
bei der Suche nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe
vorgelegt hatte, war Marcel D. vom damaligen V-MannFührer von Tino Brandt, Norbert Wiesner, jedoch schon
Mitte der 1990er Jahre als »VM 2100« angeworben
worden.
Marcel D. war insgesamt fünf Mal in der Hauptverhandlung am OLG München als Zeuge vorgeladen worden: Er
sei niemals V-Mann des thüringischen Landesamtes für
Verfassungsschutz gewesen, beteuerte der mittlerweile
vgl. mündliche Frage MdB Martina Renner / DIE LINKE, Wie viele
Quellenmeldungen des VM 2100/Hagel des Thüringischen Landesamtes
für Verfassungsschutz aus welchen Jahren liegen im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vor? MF (Fragen 25,26), BT-Drs. 18/4370, S.10.
105