2000 polizeibekannte »Blood&Honour«-Aktivist*innen
aus Berlin und Brandenburg, darunter den eng mit
ihm befreundeten Gitarristen der Neonazi-Band
»Landser«, wegen Baustellen in Berlin ansprach.87
Dies betrifft aber auch Strafakten der sächsischen
Justiz und Polizei zu M., aus denen weitere Autoanmietungen von M. bei bislang nicht vom BKA befragten Autovermietern in Zwickau hervorgehen.
• Die Fraktion DIE LINKE teilt die mehrfach geäußerte Einschätzung der Oberstaatsanwälte beim BGH
Weingarten und Greger und des Bundesanwaltes
Dr. Diemer nicht, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe
hätten abgeschottet gelebt. Die Fraktion DIE LINKE
verweist u.a. auf die Aussagen der Zeugen Hendrik
L., Enrico R. und Thomas Ro., die jeweils gegenüber
dem BKA zu ihren Kontakten zu dem in der Illegalität
in Chemnitz lebenden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ausgesagt haben. Thomas Ro. hatte bei seiner
BKA-Vernehmung eingeräumt, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach deren Flucht aus Jena nach
Chemnitz die ersten zwei Wochen in seiner Wohnung
untergebracht zu haben. Nach deren Umzug in die
Wohnung von Max-Florian B. sei er weiter regelmäßig
mit Uwe Mundlos Fahrrad gefahren und habe Computerspiele getauscht. Nachdem Böhnhardt, Mundlos
und Zschäpe im Juli 2000 umgezogen seien, habe er
Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe noch »zwei bis drei
Mal« besucht. Der mit Uwe Mundlos, Thomas Ro. und
M. befreundete Hendrik L. war derjenige gewesen,
der vor der Haftentlassung von Thomas Starke neben
Jan Werner schon den Kontakt zu M. geknüpft hatte
und mit diesem regelmäßig auch durch den Verkauf
von Neonazimusik und Kleidung zu tun hatte. Auch
Hendrik L. hatte in seiner BKA-Vernehmung beschrieben, dass er Mundlos in der Illegalität in Chemnitz
besucht, ein von ihm entworfenes T-Shirt mit dem so
genannten »Skinson-Motiv« vertrieben und Computerspiele getauscht hatte. In seiner Vernehmung
in der Hauptverhandlung vor dem OLG München
betonte er, dass Uwe Mundlos sich auch nach dem
Untertauchen in Chemnitz ganz normal dort bewegt
habe, sodass es für ihn keinen Unterschied zwischen seinem Kontakt zu Mundlos vor und nach dem
Untertauchen gegeben hätte.88 Enrico R., der 1994
ebenfalls mit Mundlos und S.K. in Straubing bei einer
Neonaziparty am Baggersee festgestellt worden war,
hatte gegenüber dem BKA auch ausgesagt, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten sich »nach dem
Abtauchen normal in der Szene bewegt. Beispielsweise gab es mal einen wöchentlichen rechten Treff, da
waren die ganz normal anwesend. Das war auch noch
1998. Ich kann mir auch nicht vorstellen, warum die damals nicht gefunden wurden. Die haben sich damals,
also 1998 in Chemnitz in der Szene bewegt und haben
bei den einschlägigen Leuten gelebt«.
• Die Fraktion DIE LINKE hält in diesem Zusammenvgl. Protokoll der Befragung des Zeugen Jochen Weingarten vom 9.
Juni 2016, 23. Sitzung
88
vgl. nicht-amtliches Protokoll der Aussage von Hendrik L. vor dem OLG
München am 190. Verhandlungstag am 5. März 2015, www.nsu-watch.
info
87

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hang die Aussage des Zeugen J.A. für glaubhaft, der
im Dezember 2011 beim BKA ausgesagt hatte, M. in
Begleitung von Mundlos und Böhnhardt beim Besuch
eines Fußballturniers, dem so genannten »Pfingstochsencup« an Pfingsten 1998 in Greiz getroffen zu
haben. Der Zeuge, der ehemals zur rechten Szene im
Zwickauer Umland gehörte, hatte beim BKA angegeben, M. habe ihn dabei nach Waffen gefragt. Die
Fraktion DIE LINKE hält die Aussage für glaubhaft
und konnte sich anhand von im Internet frei verfügbaren Fotos davon überzeugen, dass M. als Zuschauer
an diesen Fußballturnieren der so genannten »Koliner
Jungs« beim SC Blau Weiß Greiz teilgenommen hatte.
Aufbau von extrem rechten Erlebniswelten
durch Quellenschutz
Im Zeitraum von 1992 bis 2000 hat M. – in enger
Zusammenarbeit mit den Führungskadern des
»Blood&Honour«-Netzwerks in Sachsen, Jan Werner und Thomas Starke, sowie mit dem Thüringer
»Blood&Honour«-Kader und V-Mann »2100/Hagel« des
LfV Thüringen, Marcel D., und dem »Hammerskin«-Führungskader und BfV V-Mann »Strontium« insbesondere
in Sachsen mehrere Dutzend Neonazikonzerte organisiert. An diesen Veranstaltungen, die bis auf wenige
Ausnahmen von der Polizei lediglich beobachtet, aber
nicht unterbunden wurden, nahmen jeweils zwischen
100 und 1000 Besucher teil.
Damit hat nach Überzeugung der Fraktion DIE LINKE
nicht nur M., sondern auch das Bundesamt für Verfassungsschutz einen entscheidenden Beitrag dazu
geleistet, dass sich in den 1990er Jahren in Sachsen
über die »Begleitmusik für Mord- und Totschlag« eine
extrem rechte Erlebniswelt ausbreitete, in der tausende
von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sozialisiert
und in einer menschenverachtenden Ideologie der
Ungleichwertigkeit indoktriniert wurden – und mehrere
V-Leute zusätzlich zu den vom BfV bzw. den Landesämtern gezahlten monatlichen Prämien zwischen 300 und
500 D-Mark auch jeweils mehrere tausend bis zehntausend D-Mark pro Konzert verdienten. Die Profite
bei Blood&Honour und Hammerskin Konzerten flossen
sowohl in die eigene Tasche des M. als auch in den
weiteren Ausbau der jeweiligen Neonazi-Netzwerke.
Bei ihrer Bewertung von M. als Anführer und Agent
Provocateur beim Ausbau einer extrem rechten Parallel- und Erlebniswelt bezieht sich die Fraktion DIE
LINKE u.a. auf polizeiliche und staatsanwaltschaftliche
Ermittlungsakten zu einem Neonazikonzert mit 1.000
Besuchern am 23. November 1996 in der Diskothek
»Wodan« in Mücka (Sachsen). Neben »Volkstroi« aus
Fürstenwalde (Brandenburg) und »Noie Werte«, der
»Blood&Honour« Band aus Stuttgart, deren Musik der
ersten Fassung des NSU-Bekenner-Videos unterlegt ist,
trat auch die Band »Westsachsengesocks« mit M. als
Sänger auf. Gegen 2 Uhr morgens provozierte M. bei
einem zweiten Auftritt mit »Westsachsengesocks« an
dem Abend, indem er den indizierten Titel »Judenrepublik« der Band »Landser« intonierte. Als daraufhin die
Technik ausgeschaltet wurde, rief M. laut Polizeibericht

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