NSU-Untersuchungsausschusses nach Ansicht der
Fraktion DIE LINKE völlig unklar geblieben.56 Deutlich
geworden ist hingegen, dass Dr. Maaßen auch nach
Bekanntwerden der oben zitierten Aussage von Lothar
Lingen beim Generalbundesanwalt keine weiteren
Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts initiiert
hat, 57 obwohl der Zeuge Lingen hier ein völlig anderes
Motiv als zuvor bekannt für die Aktenvernichtung zum
Ausdruck gebracht hat. Anstatt die weitere parlamentarische Untersuchung des Sachverhalts durch eine vom
Untersuchungsausschuss beschlossene Beiziehung
der Disziplinarakte von Lothar Lingen zu ermöglichen,
verweigerten das Bundesinnenministerium und das
BfV aber genau diese Übermittlung. Auch hierin zeigt
sich, dass die Aufklärungsbemühungen im BfV unter Dr.
Maaßen als Präsident allenfalls kosmetisch und immer
nur durch Druck von Außen erfolgen. Beispielhaft wird
dies auch am Umgang mit den ab September 2015 offenbar gewordenen Funden von Handys des ehemaligen
V-Mannes »Corelli« in Panzerschränken des BfV. Die
vom BfV-Präsidenten geprägte Verantwortungsabwehr
zeigt sich auch darin, dass in der öffentlichen Darstellung des Amtes der ehemalige V-Mannführer und Zeuge
Günther Borstner als alleinverantwortlich dargestellt
wurde.
Die Fraktion DIE LINKE wertet den Versuch des BfV,
den langjährigen V-Mann Thomas R. alias »Corelli« nach
dessen Tod im April 2016 unter einer Tarnidentität zu beerdigen und nicht einmal dessen Familie zu informieren,
im Übrigen als Ausdruck der im Amt offenbar vorherrschenden Missachtung für demokratische Prinzipien.
1. V-Leute mit Kontakten zum mutmaßlichen
NSU-Kerntrio und zum NSU-Netzwerk
Nach dem Ende der Beweisaufnahme des zweiten
NSU-Untersuchungsausschusses ist es völlig unstrittig, dass das mutmaßliche NSU-Kerntrio und dessen
engste Unterstützer*innen von V-Leuten der Geheimdienste und Länderpolizeien umringt waren. Daraus
resultiert die naheliegende Frage, ob die rassistische
Mord- und Anschlagsserie des NSU, dessen Banküberfälle und der Mord an Michèle Kiesewetter hätten
verhindert werden können. Voraussetzung dafür wären
entweder entsprechende Hinweise von V-Personen
auf Pläne oder Handlungen von Mundlos, Böhnhardt
und Zschäpe oder aus G 10-Maßnahmen im bekannten
Unterstützer*innen-Umfeld gewesen. Auch bis zum
Ende der Beweisaufnahme des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses sind jedoch keine entsprechenden
Berichte von V-Leuten bekannt geworden, die dem
Untersuchungsausschuss vorlagen. Nach Ansicht der
Fraktion DIE LINKE kann es hierfür zwei Ursachen
geben: Die Loyalität der allermeisten V-Leute gegenüber »Kamerad*innen« war zumeist erwiesenermaßen
größer als gegenüber den V-Mannführern und Ämtern. Dies zeigt sich u.a. an den erhalten gebliebenen
Meldungen von Thomas Starke zu Mundlos, Böhnhardt
vgl. Zeuge Dr. Hans-Georg Maaßen, Protokoll der 49. Sitzung vom 16.
Februar 2017, S. 62f.
57
ebenda S. 69
56
26
und Zschäpe gegenüber dem VP-F��hrer des LKA Berlin.
Es ist keineswegs auszuschließen, dass auch andere
neonazistischen V-Personen – ebenso wie der Kern
der Unterstützer*innen – ihr Wissen nicht oder nur in
unschädlicher Form gegenüber Behördenvertretern
preisgaben. Ebenso ist aber auch angesichts der zwei
Wellen von Aktenvernichtungen vor und nach dem 4.
November 2011 in den Geheimdiensten nicht ausgeschlossen, dass entsprechende Meldungen vorlagen
und mittlerweile vernichtet wurden. Festzuhalten
bleibt, dass das V-Leute-System weder während der
Anschlags- und Mordserie noch seit der Selbstenttarnung zu deren Aufklärung beigetragen hat. Viele
ehemalige V-Leute und auch deren V-Mann-Führer
haben sich in der Hauptverhandlung am OLG München
oder in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen als wenig aussagefreudige bzw. hilfreiche Zeugen
erwiesen.
Um das Ausmaß des V-Leute-Systems zu verdeutlichen,
soll hier noch einmal auf einige ausgewählte und bekannte Neonazis und V-Personen hingewiesen werden.
Zu denjenigen V-Leuten und Informant*innen, die aus
nächster Nähe und mit direktem Kontakt vor und/oder
nach deren Flucht in die Illegalität über die drei Jenaer
Neonazis berichtet haben, gehören nach derzeitigem
Kenntnisstand u.a. der langjährige Anführer des »Thüringer Heimatschutzes« (THS) und politische Weggefährte Tino Brandt (von 1994 bis März 2001 »VM Otto/
VM 4500« des LfV Thüringen)58, der Sektionsleiter der
»Blood&Honour«-Sektion Thüringen und Kassenwart der
»Blood&Honour«-Division Deutschland Marcel D. (von
1996 bis 2001 »VM Hagel/VM 2100« des LfV Thüringen)59,
der sächsische »Blood&Honour«-Anführer Thomas
Starke (von 2000 bis 2011 VP des Landeskriminalamts
Berlin)60, die Gewährspersonen des LfV Thüringen »GP
Alex«61, Juliane W.62 und T.R.,63 der brandenburgische
Neonaziaktivist Carsten Szczepanski (1994 bis 2000
V-Mann »Piatto« des Verfassungsschutz Brandenburg)64
sowie der Führungskader der »Gesinnungsgemeinschaft
der Neuen Front« (GdNF) und des »Fränkischen Heimatschutzes«, Kai D. (von 1987 bis 1998 V-Mann des LfV
Bayern)65. Hinzu kommen Thomas R. ( von 1992 bis 2011
V-Mann »Corelli« des BfV)66, der langjährige Zwickauer
Neonazianführer M. (von 1992 bis 2002 V-Mann ”Primus”
des BfV)67, der langjährige ehemalige Neonaziaktivist
und Herausgeber des Heftes »Sonnenbanner«, der
Zeuge Michael S. (von 1994 bis 2002 V-Mann »Tarif« des
BfV)68, der langjährige Anführer der sächsischen »Hamvgl. Drs. 5/8080, Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses
5/1 »Rechtsterrorismus und Behördenhandeln« des Thüringer Landtags,
S. 505f., http://bit.ly/2a3SDBh
59
Ebenda, S. 118f.
60
vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 297f.
61
vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 429
62
vgl. BT-Drs. 17/14600, S.400
63
vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 272
64
vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 283ff.
65
vgl. Abschlussbericht Untersuchungsausschuss Rechtsterrorismus in
Bayern, Drucksache 16/17740, http://bit.ly/2acT3F7, S. 73ff.
66
vgl. Kapitel VIII. V-Personen des BfV mit möglichen Bezügen zum NSU,
2. Thomas R. (V-Person »Corelli«)
67
vgl. Kapitel VIII. V-Personen des BfV mit möglichen Bezügen zum NSU,
1. M. (V-Person »Primus«)
68
vgl. Kapitel VIII. V-Personen des BfV mit möglichen Bezügen zum NSU
58