Anhaltende Blockade der Aufklärung durch Geheimdienste
Die mit dem Prinzip »Quellenschutz vor Strafverfolgung« einhergehende Missachtung demokratischer
Kontrolle zeigt sich in den zahlreichen Vernichtungen
relevanter Aktenteile und Beweismittel sowohl im
Bundesamt als auch in den Landesämtern für Verfassungsschutz nach dem 4. November 2011. Sie zeigt sich
nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE eklatant auch
in den nachfolgend zitierten Aussagen des langjährigen BfV-Präsidenten Heinz Fromm vor dem zweiten
NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages der
18. Wahlperiode. Heinz Fromm, der von Juni 2000 bis
zum Juli 2012 Präsident des BfV war, hatte auf Fragen,
warum der erste NSU-Untersuchungsausschuss des
Bundestages nicht über den Verdacht gegen einen
langjährigen V-Mann des LfV NRW im Zusammenhang
mit dem NSU-Sprengstoffanschlag auf das von einer
iranischstämmigen Familie geführte Lebensmittelgeschäft in der Kölner Propsteigasse informiert worden
war, obwohl dem Bundesinnenministerium, dem BfV,
dem Generalbundesanwalt und dem Innenministerium
des Landes NRW dieser Verdacht bereits im Februar
2012 bekannt war, sinngemäß geantwortet: Die Parlamentarier hätten ihn nicht danach gefragt, also habe er
keine Notwendigkeit gesehen, den Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode über den Verdacht gegen
den V-Mann zu informieren. Der Zeuge Fromm antwortete auf wiederholte Nachfragen des stellvertretenden
Ausschussmitglieds der Fraktion DIE LINKE, MdB Frank
Tempel, u.a. wie folgt: »Ich bin danach nicht gefragt
worden.« […] »Soweit ich mich erinnere, bin ich auch auf
die Idee nicht gekommen, das nun im Untersuchungsausschuss von mir aus zu sagen.« […] »Natürlich kann man
sagen, das gehört dazu. Das gehört ja auch dazu. Aber
ob ich das von mir aus - also ob ich auf die Idee hätte
kommen können, von mir aus bei meiner Vernehmung so
etwas zu berichten, da habe ich meine Zweifel.« […] »Ich
vermute, es hat auch eine Reihe anderer Dinge gegeben
in anderen Zusammenhängen, die ich nicht in Untersuchungsausschüssen berichtet habe.«52
Sein Nachfolger seit dem 1. August 2012, Dr. Hans-Georg
Maaßen, der im ersten NSU-Untersuchungsausschuss
des Bundestages das Bundesministerium des Inneren
vertreten hatte, hatte nach Ansicht der Fraktion DIE
LINKE schon vor Beginn des zweiten Untersuchungsausschusses deutlich gemacht, dass er eine Verantwortungsübernahme des BfV prinzipiell ablehnt. In einem
Interview mit der Zeitung die tageszeitung im Februar
2015 erklärte Maaßen unter anderem, er verwahre sich
dagegen, dass sich sein Amt »Jahre später immer noch
für Fehler der Strafverfolgungsbehörden und der Länder
rechtfertigen muss.« Zudem erklärte Maaßen, sein Amt
habe »nach dem jetzigen Stand keine V-Personen im Umfeld des NSU«.53 Damit setzte Dr. Maaßen nach Ansicht
der Fraktion DIE LINKE nicht nur öffentlich, sondern
auch gegenüber den Mitarbeitern des BfV ein klares
vgl. Zeuge Heinz Fromm, Protokoll der 49. Sitzung vom 16. Februar
2017
53
vgl. Verfassungsschutzchef Maaßen: »Am Rand dessen, was möglich
ist«, die tageszeitung vom 11. Februar 2015, http://bit.ly/2z9yKpz
52
Signal: Nicht umfassende Aufklärung, sondern Verantwortungsabwehr haben nach Ansicht der Fraktion
DIE LINKE im BfV oberste Priorität.
Mit dieser Haltung, in der sich eine offensichtliche
Missachtung für die parlamentarische Kontrolle offenbart, trat nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE auch
die Mehrheit der BfV- und LfV-Zeugen vor dem ersten
und dem zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des
Bundestages auf. Diese Haltung zeigt sich auch in
der Aussage des langjährigen, für die Referate »Werbung von V-Leuten« und zeitweise auch »Führung von
V-Leuten« zuständigen BfV-Referatsleiters mit dem
Tarnnamen Lothar Lingen bei seiner Vernehmung durch
den Oberstaatsanwalt beim BGH Jochen Weingarten im
Oktober 2014 zu der von ihm angeordneten Aktenvernichtung nach dem 10. November 2011.
»Wir hatten früher in anderen Zusammenhängen bereits
die Erfahrung gemacht, dass vorhandene Akten, nach
denen gefragt wird, zu endlosen Prüfaufträgen führen
können. Vernichtete Akten können aber nicht mehr
geprüft werden. Dies war ein Reflex, der bei meiner
Entscheidung eine Rolle spielte. […] Ehrlicherweise will
ich aber auch noch auf einen zweiten Aspekt, der meine
Entscheidung mit beeinflusst hat, hinweisen. Mir war
bereits am 10./11. November 2011 völlig klar, dass sich die
Öffentlichkeit sehr für die Quellenlage des BfV in Thüringen interessieren wird. Die bloße Bezifferung der seinerzeit in Thüringen vom BfV geführten Quellen mit acht,
neun oder zehn Fällen hätte zu der […] Frage geführt,
aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden
über die terroristischen Aktivitäten der Drei eigentlich
nicht informiert worden sind. Die nackten Zahlen sprachen ja dafür, dass wir wussten, was da läuft, was aber
nicht der Fall war. Und da habe ich mir gedacht, wenn
der quantitative Aspekt, also die Anzahl unser Quellen im
Bereich des THS und Thüringen nicht bekannt wird, dass
dann die Frage, warum das BfV von nichts gewusst hat,
vielleicht gar nicht auftaucht.«54
Am 29. September 2016 wurde Lingen in der 33. Sitzung
des 3. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode
diese Aussage vorgehalten. Lingen hat dazu gesagt,
er sei davon ausgegangen, bei der Vernehmung durch
den Generalbundesanwalt hätte es sich nicht um ein
»öffentliches Verfahren« gehandelt und die Vernehmung
sei »vertraulich« gewesen.55 Der Zeuge Dr. Hans-Georg
Maaßen hatte sich in dem Interview mit der taz im
Februar 2015 schon öffentlich darauf festgelegt, die
vernichteten Akten hätten »nichts mit dem NSU zu
tun«. Woher der Zeuge Dr. Maaßen diese Sicherheit
angesichts eines nicht rekonstruierten Aktenbestandes
von mindestens einem Viertel der vernichteten Akten
alleine des V-Mannes »Tarif” nimmt, ist auch nach seiner Befragung als Zeuge in der 49. Sitzung des zweiten
vgl. Zeuge Lothar Lingen, Protokoll der 33. Sitzung vom 29. September 2016
55
vgl. Zeuge Lothar Lingen, Protokoll der 33. Sitzung vom 29. September 2016
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