Sprengstoff unter anderem aus den osteuropäischen
Nachbarländern.32 Immer öfter werden diese Waffen
auch eingesetzt. Beispielsweise durch Aktivisten der
»Reichsbürger«-Bewegung gegen Polizeibeamte und Gerichtsvollzieher. Aus Hass auf Vertreter des Staates erschoss ein Anhänger der so genannten »Reichsbürger«Bewegung am 19. Oktober 2016 den Polizeibeamten
Daniel E. in Georgensgmünd (Bayern).33 Die offizielle
Anerkennung des 32-jährigen SEK-Beamten als Todesopfer rechter Gewalt erfolgte im Übrigen erst, nachdem
die Sprecherin für antifaschistische Politik der Bundestagsfraktion DIE LINKE, MdB Martina Renner, mit einer
schriftlichen Frage beim Bundesinnenministerium dazu
nachhakte.34
Das Ausmaß aktueller neonazistischer Vernetzung,
offensiver Planung und Durchführung schwerer Gewalttaten wurde im Verlauf des Untersuchungsausschusses
nicht nur in den wenigen Strafprozessen sichtbar, in
denen die Generalbundesanwaltschaft den mutmaßlichen Täter*innen die Bildung einer terroristischen
Vereinigung nach §129a StGB vorgeworfen hatte bzw.
vorwirft. Zum Beispiel im Prozess gegen die »Gruppe
Freital«, die über ein halbes Jahr Geflüchtete und politische Gegner*innen mit dem Einsatz von lebensbedrohlichen Sprengsätzen bedrohte, ferner im Prozess gegen
die Gruppe »Old School Society« und im Prozess gegen
den neonazistischen Attentäter, der die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wegen ihrer Haltung
zur Flüchtlingspolitik töten wollte, sowie auch in dem
Prozess gegen eine Gruppe von 14 Neonazis, die im
Februar 2014 die Kirmesgesellschaft in dem kleinen Ort
Ballstädt (Thüringen) überfallen und dabei zehn Menschen zum Teil schwer verletzt hatten.35
Trotz der niedrigen Aufklärungsquote beispielsweise bei
Anschlägen auf bewohnte und unbewohnte Flüchtlingsunterkünfte – lediglich in zwölf von 222 Fällen rassistisch motivierter Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte
im Jahr 2014 wurde nach Recherchen von SPIEGEL und
correctiv.org bis zum Jahresbeginn 2016 überhaupt
Anklage erhoben – wird deutlich, dass die Täter*innen
in vielen Fällen analog zu den neonazistischen Terrorzellen der 1990er und 2000er Jahre in kleinen, gut
organisierten Gruppen vernetzt sind, ihre Angriffsziele
im Voraus auskundschaften und die Durchführung
genau planen. Beispielsweise in der brandenburgischen
Stadt Nauen, wo im August 2015 nach mehreren rechten
Aufmärschen gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft
eine mehrköpfige Gruppe neonazistischer Täter, die von
einem NPD-Funktionär angeführt wurden, mit einem
Brandanschlag einen Sachschaden von mehreren
hunderttausend Euro an einer als Flüchtlingsunterkunft
vorgesehenen Turnhalle verursachten.36 Nach der Festnahme von sechs Tatverdächtigen im Februar 2016, die
vgl. u.a. »Migrantenschreck: Die Waffenbürger«, Zeit Online vom 9.
Dezember 2016, http://bit.ly/2hav3Hk
33
Polizist nach Schießerei mit »Reichsbürger« gestorben, Zeit online vom
20.10.2016, http://bit.ly/2em6Rov
34
Schriftliche Frage der Abgeordneten Martina Renner (DIE LINKE) und
Antwort des BMI vom 23. Januar 2017, http://bit.ly/2y5kTQX, S. 10
35
vgl. zu den Hintergründen des Prozesses den Blog der Prozessbeobachtungsgruppe, http://bit.ly/2kzT3cs
36
vgl. http://bit.ly/2gnuMlh
32
in neonazistischen Kameradschaftsstrukturen und der
NPD aktiv waren, verteilten Unbekannte in Nauen unter
der Überschrift »Absoluter Widerstand gegen die Invasion von Ausländern« in Briefkästen Anleitungen zum Bau
von Brandflaschen und Sprengsätzen.37 Der hohe Grad
an Organisierung zeigt sich auch bei dem Angriff von
mehreren hundert polizeibekannten Neonazis und extrem rechten Hooligans aus Sachsen und dem gesamten
Bundesgebiet auf den als alternativ geltenden Leipziger Stadtteil Connewitz im Januar 2016. Aber auch bei
einem versuchten Totschlag von drei bei den »Hooligans
gegen Salafisten« (HoGeSa) organisierten Neonazis an
einem Besucher des Autonomen Jugendzentrums (AJZ)
Wuppertal im April 2015. Der Betroffene überlebte mehrere Messerstiche nur durch einen glücklichen Zufall
und lag mehr als einen Monat lang im Koma. In Prozess
wurde deutlich, dass die Täter sich in einer WhatsappGruppe mit knapp einhundert Mitgliedern zu Angriffen
»auf linke Zecken« verabredeten und berieten – und
dass sich die polizeilichen Ermittlungen in klassischer
Täter-Opfer-Umkehr lange Zeit vor allem gegen die linken und alternativen Besucher*innen des AJZ richteten,
denen durch die Polizeibehörden eine Mitverantwortung an dem Angriff zugeschrieben wurde.38
Eine Zäsur in der Strafverfolgung rechtsterroristischer
Strukturen – und in der Auseinandersetzung mit deren
gesellschaftlichen und politischen Ursachen – hat nach
Ansicht der Fraktion DIE LINKE nicht stattgefunden.
Institutioneller Rassismus
Wie schon nach der Beweisaufnahme im ersten NSUUntersuchungsausschuss des Bundestages ist die
Fraktion DIE LINKE davon überzeugt, dass institutioneller Rassismus die zentrale Ursache dafür ist, dass
die polizeilichen Ermittlungen in der Česká-Mordserie
scheiterten und dass es in zahlreichen aktuellen Fällen
rassistisch motivierter Gewalttaten weiterhin zu TäterOpfer-Umkehrungen und fehlgeleiteten Ermittlungen
kommt.39 Die Fraktion DIE LINKE bedauert es, dass
institutioneller Rassismus bislang in keinem der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ein eigener
Untersuchungsgegenstand war und hält es daher für
dringend notwendig, dass der Bundestag der 19. Wahlperiode eine Enquete-Kommission zum institutionellen
Rassismus einberuft.
Die MacPherson-Kommission, die die Ermittlungen
der Polizei nach dem rassistisch motivierten Mord an
dem afrobritischen Teenager Steven Lawrence 1993 in
London untersuchte, hat institutionellen Rassismus
als Ursache der in diesem Fall achtzehn Jahre lang
erfolglosen Ermittlungen festgestellt und wie folgt
definiert: »Als kollektives Versagen einer Behörde bzw.
vgl. Compact als Inspiration für Bombenbauer?,
http://bit.ly/2z9WslM
38
vgl. u.a. »Eine Täter-Opfer-Umkehr«, Wuppertaler Rundschau vom 30.
April 2015, http://bit.ly/2yaDi0y, »Rechte Hools haben in Wuppertal
einen Antifaschisten ins Koma gestochen«, Vice Magazin vom 28. April
2015, http://bit.ly/2hYsj4L
39
vgl. u.a. Pressemitteilung es Verbandes der Beratungsstellen für
Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt vom
4.11.2015, http://bit.ly/2g7aaAZ
37
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