III. Bewertungen im Kontext des
Feststellungsteils
Trotz erheblicher Widerstände ist es dem zweiten Untersuchungsausschuss nach Ansicht der Fraktion DIE
LINKE gelungen folgende Sachverhalte nachzuweisen:
• Mit dem langjährigen Neonazi-Aktivisten und V-Mann
des BfV »Primus” hatte mindestens ein V-Mann des
Bundesamtes für Verfassungsschutz direkten Kontakt
mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im Zeitraum
der rassistischen Mord- und Anschlagsserie. Damit
besteht die Möglichkeit, dass im BfV Informationen
über den exakten Aufenthaltsort – und Aktivitäten
- von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vorhanden
waren bzw. dass das BfV diese Informationen hätte
erhalten können.
• Das mutmaßliche NSU-Kerntrio war ab 1997 von VLeuten der Verfassungsschutzämter des Bundes und
der Länder Thüringen, Brandenburg und Sachsen de
facto umstellt. Den Verfassungsschutzämtern lagen
sowohl durch Kommunikations- und andere Überwachungsmaßnahmen als auch V-Personen-Meldungen
hinreichend Informationen darüber vor, dass das
mutmaßliche NSU-Kerntrio sich ab 1998 bewaffnete
und diese Waffen auch einsetzte. Das Prinzip »Quellenschutz vor Strafverfolgung« führte jedoch dazu,
dass die Strafverfolgungsbehörden darüber nicht
adäquat informiert waren und eine erfolgreiche Fahndung so blockiert wurde.
• Bei dem NSU handelt es sich nicht um ein isoliertes
»Trio«, sondern um ein Netzwerk aus Neonazis der
»Generation Terror« der frühen 1990er Jahre. Diese
haben den Alltag und die mörderischen Gewalttaten
des NSU ermöglicht, indem sie Uwe Böhnhardt, Uwe
Mundlos und Beate Zschäpe u.a. Identitätspapiere,
Autos und Wohnungen zur Verfügung stellten sowie
Waffen, Sprengstoff und Geld beschafften. Dieses
Netzwerk, das auch im Prozess am OLG München
relativ ausgeleuchtet und beschrieben wurde, wird
in den Sachverständigengutachten, die der zweite
NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag in Auftrag gegeben hat, um potenzielle und mutmaßliche
Unterstützer*innen an den bekannten Tatorten und
Aufenthaltsorten des mutmaßlichen NSU-Kerntrios
erweitert.
• Im Bundesamt für Verfassungsschutz gab es seit dem
Jahr 2009 irreguläre und rechtswidrige Vernichtungen
von Akten im Zusammenhang mit V-Personen aus
dem Umfeld des NSU sowie bekannten Unterstützern
des mutmaßlichen NSU-Kerntrios. Die umfangreiche
Aktenvernichtung durch den BfV-Referatsleiter Lothar
Lingen am 11. November 2011 markiert nicht den Anfang
der Vernichtung von potenziellem Beweismaterial.
Die Bundesanwaltschaft hat als Ermittlungsführerin
im Zusammenhang mit neonazistischen V-Leuten im
NSU-Komplex im Sinne des § 14 der so genannten
18
»Zusammenarbeitsrichtlinie«18 das »Sicherheitsinteresse« der Verfassungsschutzbehörden berücksichtigt.
Dadurch sind naheliegende Ermittlungsschritte unterblieben: Beispielsweise eine Vernehmung der V-MannFührer von M. alias »Primus«, die Vernehmung der
V-Person des LfV Mecklenburg-Vorpommern, die den
Eingang von einer Spende in Höhe von 2.500 Euro beim
»Weißen Wolf« im Jahr 2002 gemeldet hatte19, die Vernehmung der neonazistischen V-Person »Harm« des MAD,
die u.a. aus den gewalttätigen THS Strukturen um den
engen Freund von Uwe Böhnhard, Sven Ro. berichtete,
die Vernehmung der V-Person des LfV Sachsen in der
sächsischen »Blood&Honour«-Sektion und die Vernehmung von zwei V-Personen des LfV Hessen: einer
weiteren V-Person des LfV Hessen im Bereich Rechtsextremismus, VM 340, die von Andreas Temme vertretungsweise geführt wurde und nach dem Mord an Halit
Yozgat vor der kurzzeitiger Festnahme Temmes mit
diesem Kontakt hatte. Sowie einer V-Person des LfV
Hessen, die im September 1996 u.a. Fotos von Thomas
Starke und Beate Zschäpe bei einem »Blood&Honour«Konzert in Sachsen beschafft und übergeben hatte.
• Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen neun namentlich bekannte mutmaßliche
Unterstützer*innen des NSU-Kerntrios verlaufen
schleppend und werden unvollständig geführt. Dies
betrifft u.a. den bekannten früheren Anführer der
sächsischen »Blood&Honour«-Sektion Jan Werner.
Die Fraktion DIE LINKE stellt darüber hinaus fest:
• Sowohl die V-Leute der »Operation Rennsteig« als
auch die V-Personen »Tarif«, »Corelli«, »Primus« und
»Strontium« wurden durch dieselbe kleine Gruppe
von V-Mann-Führern und Stellvertretern – Richard
Kaldrack, Rüdiger Grasser und Günther Borstner –
geführt. Diese Gruppe stand zudem während der
Suche nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ab
1998 durch das LfV Thüringen im Austausch mit
V-Mann- Führern des LfV Thüringen und hatte nach
eigenen Angaben auch im Auftrag der Auswertung
die V-Personen ”Tarif« und »Primus« ergebnislos
Fotos der gesuchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vorgelegt. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme
gehört auch, dass diese Fotovorlagen in keiner der
Akten dokumentiert sind, die das BfV dem zweiten NSU-Untersuchungsausschuss vorgelegt hat.
Die Aussage des V-Mann Führers von ”Primus«,
Richard Kaldrack, ergebnislose Fotovorlagen seien
grundsätzlich nicht dokumentiert worden, konnten
jedenfalls anhand von dokumentierten weiteren ervgl. Wortlaut des §14 der so genannten Zusammenarbeitsrichtlinie
in der noch immer gültigen Fassung vom 30. Juli 1973, in »Geheim,
wenn es der Regierung passt«, Zeit Online vom 16. September 2016,
http://bit.ly/2y7dvo6: »Die Strafverfolgungsbehörden beachten unter
Berücksichtigung der Belange des Verfahrens das Sicherheitsinteresse
der Verfassungsschutzbehörden, des Bundesnachrichtendienstes und des
Militärischen Abschirmdienstes. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich
Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ein Beschuldigter, Zeuge oder sonst
am Verfahren Beteiligter geheimer Mitarbeiter der genannten Behörden ist
oder war.«
19
vgl. u.a. BT-Drs. 18/6545, Bericht des Sachverständigen der PKGr zum
V-Mann »Corelli«, http://bit.ly/2kx8It4
18