gemeinsam unternommen. (...) Und dann war er plötzlich
nicht mehr da. Da war nicht nur diese riesige Lücke ohne
ihn. Da war nicht nur der Schmerz über seinen Verlust.
Da war auch dieser Albtraum, der folgte. (...) Einen Tag
nach dem Tod meines Vaters wurden wir von der Polizei
abgeholt und vernommen. Wir Kinder wurden getrennt
von meiner Mutter befragt. Wir hatten keine Ahnung, was
passiert war. Und dann fingen diese Fragen an: Hatte
Ihr Vater Feinde? Mit wem hatte er Streit? Hat er irgendwelche Drogengeschäfte am Laufen? Das waren Fragen,
die mit der Person meines Vaters überhaupt nichts zu
tun hatten! Ich war mir plötzlich ganz unsicher und habe
mehrmals gefragt: »Sind Sie sicher, dass es mein Vater
ist, der da getötet worden ist? Die Fragen passten einfach nicht zum ihm. (...) Heute weiß ich: Das war einfach
gelogen. Man wollte mit den falschen Unterstellungen
nur etwas aus uns herauskriegen, was nicht die Wahrheit
war. (...) Wie kommt man nur auf solche Fragen? Welches
Bild von uns steckte dahinter?
Wenn ich heute an diese Verdächtigungen denke, dann
tut das immer noch weh. Diese Verletzung ist nicht
verheilt und ich glaube nicht, dass ich das je vergessen
kann. (...) Die Angstzustände hielten an. Denn da war
auch die ganz konkrete Angst, weil die Mörder noch frei
herumliefen. Zeugen hatten zwei Männer mit Kapuzenshirts, Käppis und Fahrrädern beobachtet. Aber wie viele
gibt es davon allein in Dortmund? Ich musste nur jemand
mit Kapuzenshirt sehen und bekam Angstzustände. (...)
Die Angst ließ erst nach, als im November 2011 endlich
klar war, wer meinen Vater umgebracht hatte. Ich kann
mich noch gut an den Tag erinnern. (...) Obwohl ich die
ganze Zeit sicher war, dass die Täter nur Rechtsradikale
gewesen sein konnten, war die Gewissheit eine Riesenerleichterung. (...) Vor allem hatte ich das Gefühl, dass
ich jetzt endlich trauern konnte um meinen Vater. Vorher
haben mir die Polizei und die Mitmenschen das gar
nicht erlaubt mit all ihren Verdächtigungen. Ich merkte,
dass dies das größte Problem in mir war: dass ich nicht
trauern konnte.
Bis heute kann ich nicht akzeptieren, wie mein Vater
getötet wurde. Das werde ich mein Leben lang nicht können. Aber jetzt kann ich akzeptieren, dass er nicht mehr
da ist. Vorher war mein Vater nie wirklich weg, weil ich
ihn verteidigen musste gegen all diejenigen, die schlecht
über ihn redeten. Ab dem Zeitpunkt, wo seine Mörder
enttarnt waren, konnte ich loslassen. Ich konnte tief
durchatmen und es als Schicksal akzeptieren, dass er tot
ist. (...) Einiges ist auch komplizierter geworden. Ich bin
hier aufgewachsen. Deutschland ist meine Heimat. Aber
die Tatsache, dass mein Vater umgebracht wurde, weil
die Täter in ihm nur einen »Ausländer« gesehen haben,
verändert mein Gefühl zu diesem Land. (...) Ich verdränge die Erkenntnis, dass mein Vater als Deutscher in diesem Land gelebt hat, aber mit seinen schwarzen Haaren
und seinen dunklen Augen der ständige Türke oder Kurde
geblieben ist. (...)
Ich bin für alles dankbar, was man mittlerweile für die
ermordeten Opfer tut. (...) All das tut unheimlich gut
nach all den Jahren, in denen wir allein gelassen wurden.
Trotzdem ist auch Verärgerung da. Warum nicht früher?
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Das Versagen von Polizei, Verfassungsschutz und Politik
hat mir viele Jahre meines Lebens genommen. (...)
Ich habe schon bei dem ersten Treffen mit der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten gesagt: Ich
möchte wissen, wer alles beteiligt war. Denn es sind ja
nicht nur die zwei Täter, die sich selbst getötet haben,
und diese Frau, die dabei war und mitgewirkt hat. Es
sind ja auch nicht nur die anderen, die Waffen und Autos
beschafft haben. Das kann mir keiner erzählen. (...) Und
ich gebe mich nicht damit zufrieden, dass die Leute im
Verfassungsschutz, die Akten haben verschwinden lassen, einfach nur von ihrer Stelle versetzt werden.«
Den Wunsch der Angehörigen der Mordopfer des
NSU nach umfassender Aufklärung hat auch Yvonne
Boulgarides, Witwe des am 15. Juni 2005 in seinem
Schlüsselladen in München ermordeten Theodorus
Boulgarides zu Beginn des Prozesses gegen Beate
Zschäpe, Ralf Wohlleben, André Eminger, Holger Gerlach und Carsten S. vor der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München im Mai 2013 formuliert:
»Heute, fast acht Jahre später, bleibt jedoch nur
noch die Fassungslosigkeit über den Hergang dieser
widerwärtigen Verbrechen und die für uns noch immer
rätselhaft unzulängliche Aufklärung. Diese Morde und
Anschläge sind nicht mehr nur eine Frage von Rechtsextremismus, sondern auch der Rechtsstaatlichkeit.
Ich wünschte, alle autorisierten Stellen würden mit
Nachdruck dafür sorgen, dass die zur lückenlosen
Wahrheitsfindung benötigten Fakten und Beweise zur
Verfügung gestellt werden würden. …. Wir sind der
Meinung, nur so ist es möglich einen Teil des Vertrauens in unser Rechtssystem wieder herzustellen – das
gilt nicht nur für unsere ausländischen, sondern auch
deutschen Mitbürger.«
Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat versucht, mit seiner Arbeit einen Beitrag
dazu zu leisten, den Fragen und Forderungen der
Angehörigen der zehn NSU-Mordopfer, der mehr als
zwei Dutzend zum Teil schwer Verletzten der drei bislang bekannten Bombenanschläge des NSU sowie der
Betroffenen der mehr als ein Dutzend Raubüberfälle
des NSU durch Aufklärung und Transparenz nachzukommen.
Doch trotz der Befragung von über 60 Zeug*innen in
mehr als 50 Sitzungen kann auch der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages keine schlüssigen
Antworten auf zentrale Fragen der Angehörigen der
neun Opfer der rassistischen Mordserie des NSU und
der Polizistin Michèle Kiesewetter geben: Warum und
wie wurden ausgerechnet ihre Väter, ihre Brüder, Söhne
und ihre Tochter vom NSU als Mordopfer ausgewählt?
Und wer unterstützte das mutmaßliche NSU-Kerntrio –
Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe – an
den jeweiligen Tatorten?
Aber auch: Was wussten die Geheimdienste des Bundes
und der Länder durch die rund 40 neonazistischen VLeute im bundesweiten Netzwerk von »Blood&Honour«,
in den thüringischen und sächsischen Kameradschaften