Chemnitz und Zwickau geführt hat, die direkten Kontakt zum mutmaßlichen NSU-Kerntrio oder zu deren
Unterstützer*innen in Zwickau und Chemnitz hatten.
Die Fraktion DIE LINKE geht davon aus, dass das BfV
zumindest in der Chemnitzer Neonaziszene um das Jahr
2000 intensiv auf der Suche nach weiteren V-Personen
war. So heißt es in einem Vermerk des LfV Sachsen
vom 28. März 2000 zum »Fall Terzett« – damit war die
Fahndung und Suche nach Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gemeint - explizit, es »sollte auf
eine zügige Bearbeitung des BfV hinsichtlich der von dort
erbetenen Werbungsvorhaben gedrängt werden«.7 Über
dieses Vorhaben und dessen Ausgang hat das BfV den
Untersuchungsausschuss nicht unterrichtet.
Ebenso hat das BfV dem Untersuchungsausschuss
der 17. Wahlperiode und 18. Wahlperiode vorenthalten,
dass – wie Medien im Mai 2017 enthüllten - mit Stephan
L. der langjährige Anführer der Deutschland-Division
des im September 2000 in Deutschland verbotenen
»Blood&Honour«-Netzwerks offenbar als V-Mann des
BfV geführt worden sein soll.8 Stephan L. unterhielt
nachweislich ab Mitte der 1990er Jahre engste Kontakte u.a. zu Jan Werner, M. alias V-Mann »Primus« und
anderen Unterstützer*innen des mutmaßlichen NSUKerntrios. Da über eine mutmaßliche V-Mann-Tätigkeit
von Stephan L. für das BfV als V-Mann »Nias« im Mai
2017 und damit erst nach dem Ende der Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses berichtet wurde,9
konnte der Untersuchungsausschuss keine weiteren
Zeug*innen befragen und Beweisbeschlüsse treffen,
um nahliegenden Fragen nachzugehen. Dies betrifft
sowohl den tatsächlichen Zeitraum einer mutmaßlichen
V-Mann-Tätigkeit von Stephan L. als auch die Frage, ob
und inwieweit Unterstützung für Uwe Böhnhardt, Uwe
Mundlos und Beate Zschäpe durch Blood&Honour Sektionen in Sachsen, Thüringen und Berlin-Brandenburg
und/oder das NSU-Netzwerk auch Gegenstand von
Deckblattmeldungen der Quelle »Nias« war.
Zudem hat die Bundesregierung im Mai 2017 mit Verweis
auf die Gefährdung des Staatswohls eine Antwort auf
die schriftliche Frage der Obfrau der Fraktion DIE LINKE
im NSU-Untersuchungsausschuss Petra Pau verweigert,
wann und durch wen die so genannte Forschungs- und
Werbungsakte von Ralph H. im Bundesamt vernichtet
wurde, der nach einem Bericht des Magazins Der Spiegel
vom 30. September 2012 als V-Person geworben werden
sollte und im Rahmen der Hauptverhandlung am OLG
München als Unterstützer der Terrorgruppe NSU namentlich bekannt wurde.10 Wörtlich heißt es in der Antwort
vgl. MAT-A-SN-1-12a Blatt 39
vgl. »Ex-Deutschland Chef von ‚Blood&Honour‘ war als V-Mann tätig«,
Tagesspiegel vom 16.5.2017, http://bit.ly/2z9vWZB; »Ehemaliger
Deutschlandchef der verbotenen Neonazi-Organisation Blood&Honour
offenbar Quelle des Verfassungsschutzes«, http://bit.ly/2pQmoNT
9
vgl. »Chef von ‚Blood&Honour‘ war V-Mann«, Frankfurter Rundschau
vom 19. Mai 2017, http://bit.ly/2sYoHmh
10
vgl. u.a. Verfassungsschutz wollte mutmaßliche NSU-Kontaktperson
anwerben, Spiegel Online vom 30. September 20122,
http://bit.ly/2yT9ZgD, und nicht-amtliches Protokoll der Zeugenvernehmung von Ralf H. vor dem OLG München am 26. November 2014,
http://bit.ly/2fVo4SY sowie die Erklärung von Nebenklagevertreter
Rechtsanwalt Stolle dazu am 3. Dezember 2014, http://bit.ly/2y64ThL
der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage u.a.: »Der
Informationsanspruch des Parlaments findet eine Grenze
bei geheimhaltungsbedürftigen Informationen, deren
Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes
gefährden kann. Es handelt sich im vorliegenden Fall
um einen Fall evidenter Geheimhaltungsbedürftigkeit.«11
Eventuell noch im BfV vorhandene Akten zu dem Werbungsvorgang wären nach Ansicht des Fraktion DIE
LINKE besonders deshalb wichtig, weil im Zusammenhang mit den Versuchen von Geheimdiensten, Neonazis
als V-Leute zu gewinnen, erfahrungsgemäß intensive
Vorrecherchen (»Forschung«) und auch Observationen
der so genannten »Zielpersonen« stattfinden. Eventuell
noch im BfV vorhandene Aktenbestände zu Ralph H.
könnten also u.a. darüber Aufschluss geben, ob das BfV
von den mutmaßlichen Unterstützungshandlungen von
Ralph H. für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Kenntnis
hatte und welche dementsprechenden Informationen
eventuell dem BfV auch vom LfV Sachsen mitgeteilt wurden, das nach der Angaben von Ralph H. in der Hauptverhandlung am OLG München ebenfalls versucht hatte,
ihn anzuwerben.12 Möglicherweise im BfV vorhandene
Aktenrückhalte zu einer Vernichtung der Akten könnten
hingegen zumindest Aufschluss über die daran beteiligten
BfV-Mitarbeiter*innen geben.
Das gravierendste Ergebnis dieses zweiten NSU-Untersuchungsausschusses ist nach Ansicht der Fraktion
DIE LINKE, dass die politisch verantwortlichen Innenminister – allen voran Bundesinnenminister Thomas de
Maizière (CDU) – nichts unternommen haben, um die
Blockade der nachgeordneten Geheimdienste zu beenden und das Versprechen »rückhaltloser Aufklärung«,
das Bundeskanzlerin Angela Merkel im Februar 2012
beim Staatsakt für die Opfer des NSU gegeben hatte,
durchzusetzen.
II. Vorwort
Gamze Kubaşik, Tochter des am 4. April 2006 in Dortmund ermordeten dreifachen Familienvaters Mehmet
Kubaşik (39) beschreibt in dem eindrücklichen Text »Ich
will nicht ewig Opfer sein«13 ihre Erfahrung als Angehörige eines Mordopfers der rassistischen Mordserie des
NSU und ihre Hoffnungen auf Aufklärung der Hintergründe des NSU-Netzwerks: »Ich hatte als seine älteste
Tochter ein sehr enges Verhältnis zu meinem Vater. (...)
Mein Vater war ein sehr fröhlicher Mann. Wir haben sehr
viel gelacht. Viele Freundinnen haben mich beneidet um
ihn: Dein Vater ist so toll. Du kannst ihm alles erzählen.
Bei uns geht das nicht. (...) Mein Vater hatte vor uns keine Geheimnisse. Wir haben als Familie alles beredet und
7
8
vgl. Schriftliche Frage MdB Petra Pau, Antwort der Bundesregierung
vom 5. Mai 2017, Arbeits-Nr. 5/35,36 und die ebenfalls mit Verweis auf
die Staatswohlgefährdung verweigerte Antwort auf die schriftliche Frage
von MdB Christian Ströbele, ob es den Versuch einer Anwerbung von
Ralf H., dessen Personalausweis im Brandschutt der Frühlingsstraße 26
gefunden worden war, als V-Mann durch das BfV gegebenen hatte.
12
vgl. nicht-amtliches Protokoll der Zeugenvernehmung von Ralf H. vor
dem OLG München am 164. Prozesstag am 26. November 2014,
http://bit.ly/2fVo4SY
13
Gamze Kubaşik in: »Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen« – Was
der NSU-Terror für die Opfer und Angehörigen bedeutet (Hg. Barbara
John), Freiburg/ 2014.
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