Nach dem Ende der Beweisaufnahme geht die Fraktion
DIE LINKE von einer besonderen Mitverantwortung
der Verfassungsschutzämter des Landes Thüringen
und des Bundes dafür aus, dass Beate Zschäpe, Uwe
Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen März 1998 und
Oktober/November 2001 nicht festgenommen wurden.
In diesem Zeitraum gab es mehr als zwei Dutzend
Telekommunikations- Überwachungsmaßnahmen
und Observationen durch Verfassungsschutzämter
und Polizei bei bekannten Unterstützer*innen von
Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Aus diesen konnten das LfV Thüringen und das BfV Rückschlüsse auf
die genauen Aufenthaltsorte und Unterstützer*innen
ziehen. Hinzu kamen Berichte und Informationen von
neonazistischen V-Leuten und Gewährspersonen des
LfV Thüringen, des Verfassungsschutzes Brandenburg,
des LKA Berlin und des BfV, die, wie Thomas Starke oder M. alias »Primus« direkten Kontakt mit Uwe
Mundlos und Beate Zschäpe hatten oder aber wie der
langjährige Neonazianführer und V-Mann Tino Brandt,
so eng mit den drei gesuchten Neonazis und deren
wichtigsten Unterstützer*innen des mutmaßlichen
NSU-Kerntrios in Kontakt standen, dass sie über deren
Unterstützungshandlungen und die Aufenthaltsorte von
Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gut informiert waren.
Dieses Wissen haben die Geheimdienste den Strafverfolgungsbehörden nicht im vollen Umfang zur Verfügung gestellt. Eine Festnahme der in diesem Zeitraum
zur Fahndung ausgeschriebenen drei Neonazis konnte
deshalb – und aufgrund der fehlerhaften Arbeit des
LKA Thüringen und der zuständigen Staatsanwaltschaft
Gera - nicht erfolgen.
Das mutmaßliche NSU-Kerntrio Uwe Böhnhardt,
Uwe Mundlos und Beate Zschäpe und seine engsten
Unterstützer*innen waren ab 1998 von mindestens
40 V-Leuten, Gewährspersonen und Informanten von
Geheimdiensten und Polizeibehörden umringt. Die
Telefonnummern von fünf dieser V-Personen hatte Uwe
Mundlos auf einer Liste von knapp 30 engen Freunden
und ihm bekannten bundesweiten Führungskadern der
Neonazibewegung eingetragen:
• Tino Brandt aus Erfurt, Anführer des »Thüringer
Heimatschutz« (THS) und von 1994 bis 2001 »VM 2450«
bzw. »Otto« des LfV Thüringen;
• Marcel D. aus Gera, Anführer der Thüringer
»Blood&Honour« Sektion und Kassenwart der Division Deutschland von »Blood&Honour«, von 1997 bis
2001 »VM 2100/Hagel« des LfV Thüringen;
• Kai D. aus Franken, langjähriger Führungskader der
»Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front« (GdNF)
und des »Fränkischen Heimatschutzes«, von 1987 bis
1998 V-Mann des LfV Bayern;
• Tomas R. aus Halle/S., seit den frühen 1990er Jahren
zunächst in der »Nationalistischen Front (NF), dann
u.a. als Anti-Antifa-Aktivist bundesweit in den Netzwerken der »Freien Kameradschaften« aktiv, von 1992
bis 2011 V-Mann »Corelli« des BfV;
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• Thomas Starke aus Dresden, seit 1993 enger Freund
von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und zeitweiliger Liebhaber von Beate Zschäpe (1996/1997),
langjähriger Führungskader der sächsischen
»Blood&Honour«-Sektion und von November 2000 bis
2011 Informant des LKA Berlin.
Dennoch haben die bundesdeutschen Geheimdienste
– allen voran das BfV – seit der Selbstenttarnung des
NSU gebetsmühlenartig behauptet, erst im November 2011 von der Existenz des neonazistischen TerrorNetzwerkes erfahren zu haben. Inzwischen ist jedoch
unstrittig belegt, dass sowohl Verfassungsschutzbehörden als auch Strafverfolgungsbehörden seit dem
Sommer 1998 darüber informiert waren, dass Uwe
Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe auf der
Suche nach Waffen waren, um »weitere Überfälle« zu
begehen und dabei von »Blood&Honour«-Aktivist*innen
sowie polizei- und Verfassungsschutz bekannten
Neonazis aus Thüringen unterstützt wurden. Ebenso
unstrittig lagen den Geheimdiensten mit dem »Weißen
Wolf« und dessen Dank an den NSU in der Ausgabe
Nr. 18 spätestens ab dem Jahr 2002 Hinweise auf den
NSU und dessen ungewöhnlich hohe Spenden für
militante Neonazi-Publikationen vor. Die breit angelegte
Vernichtung von Akten in Verfassungsschutzbehörden
und das strategische Verhältnis zur Wahrheit, mit dem
ehemalige V-Personen und Verfassungsschutzmitarb
eiter*innen sowie deren Vorgesetzte als Zeug*innen
bei den Strafverfolgungsbehörden, im Prozess am OLG
München und in einem Dutzend parlamentarischer
Untersuchungsausschüsse auftraten, macht es jedoch
unmöglich, eine abschließende Antwort auf die Frage zu
finden, ob und in welchem Umfang den Geheimdiensten auch bekannt war, dass das Netzwerk des »Nationalsozialistischen Untergrunds« für eine beispiellose
Mord- und Anschlagsserie verantwortlich war.
Die Geheimdienste – allen voran das Bundesamt für
Verfassungsschutz – verfolgen vor allem ein Ziel: Die
Aufklärung zu blockieren und zu verschleiern, wie
umfassend die Geheimdienste über die Aktivitäten
von Uwe Böhnhard, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe
sowie ihrer Polizei und Verfassungsschutz bekannten
Unterstützer*innen im Zeitraum von 1998 bis 2011 tatsächlich informiert waren.
Ganz erheblich erschwert wird eine Beantwortung
dieser Frage dadurch, dass das BfV auf wichtige
Beweis­beschlüsse des Untersuchungsausschusses der
18. Wahlperiode keine Akten geliefert hat und weitere
Akten unter Verweis auf die »Gefährdung des Staatswohls« unter Verschluss hält. Das Bundesinnenministerium und das BfV haben sich u.a. geweigert, dem Untersuchungsausschuss zu den Beweisbeschlüssen BMI-41,
mit dem der Ausschuss der 18. Wahlperiode die Vorlage
aller Operativ- und sonstigen Akten von allen V-Leuten
des BfV in Chemnitz und Zwickau ab 1998 angefordert
hatte, Informationen vorzulegen. Zur Begründung hat
das BfV darauf verwiesen, es würde »kein NSU-Bezug«
vorliegen. Damit war es dem Untersuchungsausschuss
unmöglich zu prüfen, ob das BfV neben M. alias
»Primus« weitere V-Personen in der Neonazi­szene in

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