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jedem Fall bei der richterlichen Anordnung. Gleichwohl ist
auch in diesen Ländern die in § 81g StPO und § 2 DNAIdentitätsfeststellungsgesetz vorgesehene Prognose einer
besonderen Wiederholungsgefahr nicht immer Gegenstand
einer richterlichen Entscheidung, sondern wird mitunter
auch von der Staatsanwaltschaft bzw. sogar der Polizei getroffen. Angesichts dieser m. E. nicht hinnehmbaren Tendenz und der in den einzelnen Ländern unterschiedlichen
Praxis halte ich eine Klarstellung durch den Gesetzgeber für
geboten. Hierbei sollte eindeutig bestimmt werden, dass
DNA-Analysen für Zwecke künftiger Strafverfahren nach
§ 81g StPO und § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und
deren Speicherung nach § 3 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz nur aufgrund einer richterlichen Anordnung durchgeführt und nicht durch eine Einwilligung des Betroffenen
oder Entscheidungen der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei
ersetzt werden dürfen.

den. Ich halte deshalb die Vorstellung von einer geradlinigen Karriere vom Exhibitionisten zum Gewalttäter für nicht
sehr überzeugend. Überdies würden bei der vorgeschlagenen Erweiterung auf Vergehen mit sexuellem Hintergrund
selbst Delikte mit reinem Belästigungscharakter oder auch
Beleidigung (§ 185 Strafgesetzbuch) mit sexuellem Inhalt
als Anlasstaten ausreichen.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass das Bundesverfassungsgericht in zwei Kammerbeschlüssen vom
14. Dezember 2000 und vom 18. März 2001 (abgedruckt in
NJW 2001 S. 879 und 2320) festgestellt hat, dass § 2 DNAIdentitätsfeststellungsgesetz i. V. m. § 81g StPO verfassungsgemäß ist. Gleichzeitig hat das Gericht aber auch die
hohen inhaltlichen Anforderungen an die Prognoseentscheidung und ihre tatsächlichen Grundlagen hervorgehoben.
Diesem verfassungsrechtlichen Maßstab wird m. E. nur eine
richterliche Anordnung auf der Basis einer individuellen
Prognose gerecht.

In diesem Zusammenhang möchte ich anmerken, dass es
– insbesondere von Seiten der Länder – auch Vorschläge gegeben hat, auf das Erfordernis einer Straftat von erheblicher
Bedeutung als Anlassstraftat zu verzichten und schon bei
Verurteilung zu einer Strafe von mindestens einem Jahr
Freiheitsentzug von der Annahme auszugehen, dass diese
bereits für sich allein eine Negativprognose begründe (vgl.
Bundesratsdrucksache 434/01). Dieser Vorschlag hat jedoch
schon im Bundesrat keine Mehrheit gefunden. Schließlich
ist sogar vorgeschlagen worden, DNA-Identifizierungsmuster von allen Männern ohne besonderen Anlass zu erheben
und rein vorsorglich in der DNA-Analyse-Datei zu speichern. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat diesen Vorschlag entschieden als
verfassungswidrig zurückgewiesen (s. Anlage 14).

8.2.3.4 Erweiterung des Anlasstatenkatalogs
in § 81g Strafprozessordnung
Die Entnahme von Körperzellen des Beschuldigten eines
Strafverfahrens und die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters für künftige Strafverfahren nach § 81g Abs. 1
StPO sind nur zulässig, wenn der Beschuldigte einer Straftat
von erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens,
eines Vergehens gegen die sexuelle Selbstbestimmung, einer
gefährlichen Körperverletzung, eines Diebstahls in besonders schwerem Fall oder einer Erpressung verdächtig ist.
Dieser Straftatenkatalog wird heute vielfach unter Hinweis
auf den Schutz der Bevölkerung insbesondere vor Sexualstraftätern als zu eng empfunden. Die parlamentarischen
Gremien haben sich im Berichtszeitraum mit Gesetzesvorschlägen mehrerer Bundesländer und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion befasst, die darauf abzielen, in den Anlasstatenkatalog einen neuen Tatbestand einzuführen, der eine
DNA-Erfassung schon bei jedem Vergehen mit sexuellem
Hintergrund erlaubt (Bundesratsdrucksache 517/02; 850/02
sowie Bundestagsdrucksache 15/29). Zur Begründung wird
angeführt, durch wissenschaftliche Untersuchungen werde
bestätigt, dass oft weniger gewichtige Straftaten der Beginn
einer kriminellen Karriere seien, an deren Ende schwerste
Straftaten stehen können. Hierzu hat die Bundesregierung
allerdings in ihrer Stellungnahme (Bundestagsdrucksache 14/9887) zutreffend darauf hingewiesen, dass eine im
Auftrag des Bundesministeriums der Justiz durchgeführte
Untersuchung der Universität Göttingen zur Rückfälligkeit
von exhibitionistischen Straftätern vom April 2002 für einen Untersuchungszeitraum von vier Jahren zu dem Ergebnis kam, dass in diesem Zeitraum nur rd. 1 bis 2 % der exhibitionistischen Straftäter später wegen eines sexuellen
Gewaltdelikts oder einer sonstigen Gewalttat verurteilt wur-

BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002

Außerdem sehe ich keinen zwingenden Grund für eine Sonderbehandlung der Sexualdelikte, zumal eine Zunahme solcher Straftaten – anders als die öffentliche Diskussion vermuten lässt – statistisch nicht belegt ist. Ebenso wie die
Bundesregierung begrüße ich aber, dass der Entwurf immerhin an dem Erfordernis einer qualifizierten Negativprognose
festhält, wonach eine DNA-Analyse nur dann zulässig ist,
wenn Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Beschuldigten künftig erneut Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind.

8.2.4

IMSI-Catcher – jetzt auch im
Strafverfahren

Ebenfalls in den letzten Wochen der 14. Legislaturperiode
ist ein neuer Paragraph 100i in die StPO eingefügt worden.
Diese Vorschrift erlaubt den Einsatz technischer Mittel zur
Ermittlung der Geräte- und Kartennummer oder des Standorts eines aktiv geschalteten Handys. Über das dafür eingesetzte Gerät, den so genannten IMSI-Catcher, habe ich zuletzt im 18. TB (Nr. 10.4) berichtet. Dieser IMSI-Catcher
simuliert eine Funkzelle mit großer Feldstärke, sodass sich
alle Handys in einem bestimmten Umkreis nicht bei der
echten Funkzelle, sondern bei der des IMSI-Catchers melden.
Ursprünglich enthielt der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines „Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung“, das am 14. August 2002 in Kraft getreten ist,
nur eine klarstellende Regelung zum Richtervorbehalt für
die Anordnung von DNA-Analysen bei Spurenmaterial (s.
Nr. 8.2.3.1). Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit
wurde der Gesetzentwurf um die Regelung über den IMSICatcher (§ 100i StPO) aufgrund einer Formulierungshilfe
der Bundesregierung im Zuge der Ausschussberatungen des
Deutschen Bundestages ergänzt.
Ich habe im Rahmen einer Anhörung und bei der maßgeblichen Beratung des Entwurfs im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages – ebenso wie bei der parlamentarischen
Beratung des § 9 Abs. 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes im Rahmen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes – Be-

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