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behörden noch nicht namentlich bekannt ist, ändert daran
nichts. Eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft
würde der Grundrechtsrelevanz solcher Maßnahmen im
Hinblick auf die Möglichkeit der Verknüpfung mit der GenDatei des Spurenverursachers nicht gerecht.
8.2.3.2 Ultima ratio zur Aufklärung schwerer
Verbrechen: DNA-Massentest
DNA-Massentests gehören schon fast zum Standardrepertoire der Strafverfolgungsbehörden, um einen Täter oder
eine Täterin aus einer Vielzahl von in Betracht kommenden
Personen herauszufiltern. Solche Massentests können mitunter sehr große Personenzahlen treffen: Bei der bislang
wohl größten Reihenuntersuchung im Fall der ermordeten
Christina Nytsch 1998 in Niedersachsen wurden beispielsweise insgesamt 17 900 Personen um Speichelproben ersucht.
Ob es im geltenden Recht eine tragfähige Grundlage gibt,
solche Massentests zwangsweise durchzuführen, ist umstritten. Zum Teil wird angenommen, es handele sich bei dem
betroffenen Personenkreis weitgehend um Beschuldigte, die
eine Entnahme und Analyse der Speichelprobe nach § 81e
Abs. 1 Satz 1 oder § 81a StPO auch gegen ihren Willen dulden müssten. Dies würde voraussetzen, dass hinsichtlich
sämtlicher betroffener Personen ein Anfangsverdacht i. S. v.
§ 152 Abs. 2 StPO besteht. Davon kann jedoch lediglich in
Einzelfällen, bei denen ausnahmsweise hinreichend präzise
Anhaltspunkte für einen Tatverdacht einer größeren Personengruppe gegeben sind, ausgegangen werden. In der Regel
wird aber kaum ein Anfangsverdacht im Sinne der Strafprozessordnung gegen eine Vielzahl von Personen bejaht werden können, die nichts anderes mit der Tat verbindet als Geschlecht, Alter oder Wohnort. Zwangsweise Tests sind aber
auch gegenüber anderen Personen, die keine Beschuldigten
sind, für bestimmte Zwecke zulässig, etwa zur Klärung der
Frage, ob sich am Körper der Person bestimmte Spuren oder
Folgen der Straftat befinden (§ 81e Abs. 1 Satz 2 i. V. m.
§ 81c Abs. 1 StPO) oder ob aufgefundenes Material vom
Beschuldigten oder Verletzten stammt (§ 81e Abs. 1 Satz 2
i. V. m. § 81c Abs. 2 StPO). Mit diesen Zweckbindungen
sind aber Massentests, die eine ganz andere Zielrichtung
verfolgen, kaum zu vereinbaren. Ich halte deshalb eine
zwangsweise Reihenuntersuchung nicht für zulässig. Sie
kann nur auf freiwilliger Basis durchgeführt werden. Das
heißt, dass jeder einzelne Teilnehmer vor der Abnahme einer Speichelprobe nach einer entsprechenden Belehrung gemäß § 4a BDSG schriftlich seine Einwilligung erklären
muss.
Allerdings ist auch die Einwilligung als Rechtsgrundlage
für den DNA-Massentest nicht unproblematisch. Die rechtsstaatliche Problematik derartiger molekulargenetischer Reihenuntersuchungen liegt in der Gefahr einer Durchbrechung
der Unschuldsvermutung und faktischen Umkehr der Beweislast. Die Strafverfolgungsorgane müssen den Teilnehmern, soweit sie nicht Beschuldigte sind, bis auf ganz allgemeine Kriterien wie vermutete Altersgruppe und Wohnort
keine Tatnähe im Sinne eines konkreten Verdachts nachweisen. Umgekehrt geraten aber diejenigen, die – aus welchen
Gründen auch immer – nicht an dem Massentest teilnehmen
wollen, schon dadurch ins Zentrum der Ermittlungen, nicht
selten auch unter sozialen Druck und müssen sich für ihre
Ablehnung rechtfertigen.
Angesichts der aufgezeigten Problematik von DNA-Massentests plädiere ich für eine gesetzliche Regelung. Eine solche Bestimmung muss rechtsstaatliche Mindestanforderungen definieren, etwa wie folgt:
1. Massentests müssen ultima ratio der strafprozessualen
Ermittlungen bleiben. Es bedarf also einer Subsidiaritätsklausel, wonach die Anordnung erst dann zulässig
sein sollte, wenn alle im konkreten Fall einsetzbaren und
gesetzlich zulässigen Ermittlungsinstrumente ergebnislos ausgeschöpft sind.
2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet wegen
des Eingriffs in die Grundrechte einer Vielzahl von Personen eine Beschränkung auf einen Katalog schwerer
Straftaten gegen Leib und Leben sowie die sexuelle
Selbstbestimmung.
3. Ein Zwang zur Abgabe einer DNA-untersuchungsfähigen Probe darf nur aufgrund eines konkreten Tatverdachts, also gegen Beschuldigte im Sinne der Strafprozessordnung, ausgeübt werden. Bei allen übrigen
Personen darf dies nur auf freiwilliger Basis geschehen,
wobei die Verweigerung der Zustimmung nicht als Verdachtsmoment gewertet werden darf.
4. Die Anordnung eines DNA-Massentests muss dem
Richter vorbehalten bleiben. Staatsanwaltschaft und Polizei sollten nicht anordnungsbefugt sein. Eine Eilkompetenz ist entbehrlich, weil schon die organisatorische
Vorbereitung für einen DNA-Massentest so viel Zeit in
Anspruch nimmt, dass eine richterliche Anordnung
rechtzeitig herbeigeführt werden kann.
8.2.3.3 Einwilligung ersetzt nicht die Prognoseentscheidung des Richters
Schon in meinem letzten Tätigkeitsbericht habe ich bemängelt, dass § 3 Satz 3 des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes vom 7. September 1998 (BGBl. I S. 2646), der die Speicherung der im laufenden Strafverfahren gewonnenen
DNA-Identifizierungsmuster zulässt, nicht auf den Richtervorbehalt in § 81g Abs. 3 StPO verweist. Dies führt dazu,
dass in diesen Fällen nicht der Richter über das Vorliegen
einer Straftat von erheblicher Bedeutung entscheidet und
eine besondere Wiederholungsgefahr prognostizieren muss,
sondern die Staatsanwaltschaft oder die Polizei. Im Ergebnis führt dieser Verzicht auf die richterliche Gefahrenprognose leider meistens dazu, dass die Anordnung einer DNAAnalyse im laufenden Verfahren automatisch die Speicherung dieser Daten in der DNA-Analyse-Datei nach sich
zieht.
Ebenfalls unter Nr. 6.3 des 18. TB habe ich die Praxis der
Strafverfolgungsbehörden einiger Länder angesprochen, auf
richterliche Anordnungen zur Entnahme und Untersuchung
von DNA-Identifizierungsmustern von Strafgefangenen zu
verzichten und diese Maßnahmen stattdessen allein auf die
Einwilligung der Betroffenen zu stützen. Diese Handhabung
hat sich – jedenfalls in einigen Ländern – offenbar über den
Bereich der Strafgefangenen hinaus generell auf die Fälle
des § 81g StPO und des § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz ausgeweitet (vgl. auch Nr. 13.3, soweit der Bund betroffen ist). In anderen Ländern hält man zwar für die Entnahme
einer DNA-Probe die Einwilligung des Betroffenen für
ausreichend. Für die Analyse der Probe bleibt es jedoch in
BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002