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7.9

Volkszählungstest – Ist die Bürgerbefragung zukünftig überflüssig?

Auf der Grundlage des Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1882)
wird im Augenblick getestet, ob die Dateien der Verwaltung
geeignet sind, bei zukünftigen Volkszählungen die Befragungen der Bürger zu ersetzen.
Ich habe den Übergang zu dieser neuen Methode als Test
befürwortet, damit aber zugleich die Beachtung datenschutzrechtlicher Erfordernisse verknüpft (vgl. im Einzelnen meinen 18. TB Nr. 30.1). Meinen Empfehlungen wurde
in vollem Umfang entsprochen.
Die Testerhebungen und Auswertungen sind im Gange: Am
5. Dezember 2001 startete der Testlauf mit der Befragung
der Bewohner der Auswahlgebäude. Die Testdaten der Melderegister wurden im Januar und Mai 2002 angefordert. Daran schloss sich die Überprüfung der Mehrfachfälle (z. B.
wegen mehrerer oder unklarer Registereintragungen) an, die
im November 2002 abgeschlossen wurde. Von den insgesamt 971 037 Personendatensätzen wurden 57 015 nicht
eindeutig identifiziert, von denen blieben wiederum durch
mehrfache statistische Überarbeitung nur noch 9 159 Befragungsfälle (knapp 1 %) übrig, die durch schriftliche und telefonische Rückfragen oder durch Erhebungsbeauftragte
geklärt wurden. Die anderen Primärerhebungen, d. h. die direkt beim Bürger durchgeführten Befragungen zur Gebäude- und Wohnungsstichprobe wurden ebenfalls im
Herbst 2002 beendet. Bis Ende 2002 liefen die Registerund Verfahrenstests mit den Angaben der Bundesanstalt für
Arbeit. Mit dem Kernstück der Testläufe – der Haushaltgenerierung (das ist die statistische Zuordnung von Personen
zu Haushalten) – wurde noch in 2002 begonnen. Die statistisch errechneten Haushalte werden im Anschluss daran mit
den Angaben aus der Haushaltsstichprobe verglichen, um
die Qualität der statistischen Programme zu überprüfen.
In der Vergangenheit wurden immer wieder Bedenken gegen
den Testlauf vorgebracht, weil neben den der statistischen
Auswertung dienenden Erhebungsmerkmalen viele Hilfsmerkmale erfasst wurden. Diese Bedenken greifen allerdings
nicht, weil die größere Zahl an Hilfsmerkmalen benötigt
wird, um Personenangaben aus verschiedenen Beständen zusammenzufassen und personenübergreifende Zusammenhänge, wie den Haushalt, zu ermitteln. Sie sind also – wie die
Bezeichnung schon sagt – „technische“ Hilfsgrößen, die zum
frühestmöglichen Zeitpunkt wieder gelöscht werden. Unproblematisch ist auch, dass für den Testlauf mehr Hilfsmerkmale
als letztlich benötigt herangezogen wurden, weil nur so feststellbar sein wird, welche Angaben sich als „stabil“ erweisen
und auf welche Merkmale künftig verzichtet werden kann.
Unabhängig hiervon wurde problematisiert, warum identifizierende Daten nicht gleich zu Anfang verschlüsselt
werden. Das Problem ist, dass Daten von verschiedenen
Personen bzw. von einer Person aus verschiedenen Melderegistern im Rahmen der Mehrfachfallprüfung, der Haushaltgenerierung und der Erwerbstätigenberechnung zusammengeführt werden müssen. Eine Verschlüsselung würde
voraussetzen, dass die Angaben in den Registern immer
gleich geschrieben werden, um zu gleichen verknüpfbaren
Pseudonymen zu kommen. Diese Bedingung ist jedoch häufig nicht erfüllt, wie aus unterschiedlichen Namensschreibweisen und Buchstabendarstellungen (z. B. „ß“) bekannt ist.

Im unverschlüsselten Zustand können solche Mängel mithilfe statistischer Verfahren ausgeglichen werden. Außerdem muss bei der Klärung von Zweifelsfällen eine Rückcodierung in Namen etc. möglich sein. Die Verschlüsselung
müsste daher nach einem festen System erfolgen, damit
gleicher Name zu gleicher alphanumerischer Verknüpfung
führt. Eine solche Verfremdung wäre jedoch leicht zu entschlüsseln; sie brächte keinen verbesserten Datenschutz, zumal das gesamte Auswertungsverfahren im abgeschotteten
Bereich der amtlichen Statistik läuft.
Kritisch hinterfragt wurde auch die bestehende Auskunftspflicht für die Befragten. Da die mit der Volkszählung verfolgten Zwecke wie Festlegung der genauen Einwohnerzahlen für Bund, Länder und Gemeinden exakte Daten
voraussetzen, um Auswahlgrundlage sowie Hochrechnungsrahmen für weitere Stichprobenerhebungen zu sein,
kann nach Feststellung des Wissenschaftlichen Beirats bei
den Untersuchungen auf die Auskunftspflicht nicht verzichtet werden. Erhebungen auf freiwilliger Basis würden wegen
erwiesenermaßen zu geringer Teilnahmequote von 50 bis
60 % zu große Unsicherheitsfaktoren beinhalten. In der
amtlichen Statistik ist kein Land bekannt, das eine Volkszählung auf freiwilliger Basis durchführt. Zwischen 1985
und 1994 erfolgten weltweit 241 Volks- und Wohnungszählungen, mit denen 95 % der geschätzten Weltbevölkerung
erfasst wurden. Die Zensen fanden in Form von reinen Primärerhebungen (in Frankreich, Griechenland, Schweiz, Japan), reinen Registerauswertungen (in Dänemark, Finnland)
oder Kombinationen aus beiden (in Schweden, Belgien), als
Vollerhebung mit ergänzender Stichprobe (in den USA, Kanada, Polen) oder als Registerauswertung mit Stichprobe (in
den Niederlanden) statt.
Ich habe bisher nur wenige Eingaben zum Volkszählungstest erhalten. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um
Probleme bei der Stichprobenbefragung oder der Mehrfachfallprüfung. Sicherlich wendet sich nicht jeder Bürger
gleich an den Bundesbeauftragten, wenn er sich in seinen
schutzwürdigen Belangen verletzt fühlt. Dennoch halte ich
die geringe Zahl von Beschwerden für ein Symptom des
grundsätzlich vorherrschenden Vertrauens in das neue Testverfahren. Dazu hat sicherlich die kontinuierliche Beteiligung der Datenschutzbeauftragten beigetragen. Ich beobachte und begleite auch die weiteren Verfahrensschritte,
wenngleich sich erst nach Abschluss der Testphase die Ergebnisse unter Berücksichtigung der Erfahrungsberichte der
Statistischen Ämter einer datenschutzrechtlichen Gesamtwürdigung unterziehen lassen.
7.10

Wiedergutmachung für NS-Opfer

Im Berichtszeitraum war der BfD mit der datenschutzrechtlichen Begleitung verschiedener Projekte und Verfahren zur
Wiedergutmachung für NS-Opfer befasst. Dies betraf zum
einen die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, für die das „Gesetz zur Errichtung einer Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vom 2. August 2000
(BGBl. I S. 1263 ff.) die Grundlage schuf. Zum anderen
ging es um ein Projekt zur Nachweisbeschaffung für NSZwangsarbeiter, das ehemalige Zwangsarbeiter bei der Recherche von Nachweisen für eine Entschädigungsberechtigung unterstützt. Auch im Bereich der Entschädigung von
Holocaust-Opfern durch die Versicherungswirtschaft waren
datenschutzrechtliche Fragen zu klären und zu lösen.

BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002

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