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(vgl. Nr. 4.2). Nachdem es bislang wegen mangelnder technischer Einsatzreife entsprechender Verfahren mehr um theoretische Überlegungen ging, ist die Technik nun weiter
ausgereift und es kommt zu ersten Modellversuchen und gesetzgeberischen Initiativen wie in § 4 Abs. 3 und 4 des Passgesetzes und in § 1 Abs. 4 und 5 des Gesetzes über Personalausweise. Weitere Einsatzmöglichkeiten in fast allen
Lebensbereichen werden mehr oder weniger konkret diskutiert und es entsteht mitunter der Eindruck, biometrische Verfahren seien die sicherheitstechnische Lösung der Zukunft
überall dort, wo die Identität einer Person zweifelsfrei festgestellt oder eine Person verifiziert werden soll. Es ist nicht
meine Aufgabe zu beurteilen, ob die Biometrie das halten
kann, was sich manch einer von ihr verspricht. Datenschutzrechtlich ist gegen den Einsatz entsprechender Verfahren
grundsätzlich auch nichts einzuwenden, solange die Grundprinzipien des Datenschutzes wie Datensparsamkeit, Datensicherheit, Transparenz, strikte Zweckbindung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit, um nur die wichtigsten zu
nennen, beachtet werden. Auch darf es zu keinen zentralen
Referenzdateien kommen, mit denen an verschiedenen Stellen und zu verschiedenen Zwecken erhobene biometrische
Daten abgeglichen werden. Eine solche Entwicklung würde
den Weg frei machen zu umfassender Profilbildung und
Überwachung jeden einzelnen Bürgers und eine Vielzahl von
Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen. Um den fortschreitenden Einsatz biometrischer Verfahren in geregelte und grundrechtskonforme Bahnen zu lenken, wird zu prüfen sein, ob es
hierfür spezieller datenschutzrechtlicher Normen bedarf.
1.12
Streit um Stasi-Unterlagen vorerst
beendet
Der rechtspolitische Streit um die Herausgabe von StasiAbhörprotokollen prominenter Zeitgenossen hat sowohl die
Öffentlichkeit als auch die Justiz über Jahre beschäftigt (vgl.
Nr. 7.6.1), wobei zum Teil aus dem Blick geriet, worum es
jenseits des konkreten Einzelfalls geht, nämlich um einen
wirksamen Opferschutz und die Frage, ob rechtswidrig unter Verletzung elementarer Grundrechte erlangte Informationen über Personen gegen deren Willen weitergegeben
und veröffentlicht werden dürfen, wenn es sich hierbei um
Personen der Zeitgeschichte handelt. Meine in dieser Auseinandersetzung von Anfang an vertretene Rechtsauffassung ist im März 2002 vom Bundesverwaltungsgericht in
letzter Instanz in vollem Umfang bestätigt worden.
Damit war die Angelegenheit aber noch nicht beendet. Da
sich die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR durch das Urteil gehindert sah, ihren Aufgaben hinsichtlich der historischen,
politischen und juristischen Aufarbeitung der Tätigkeit des
Staatssicherheitsdienstes bezogen auf Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsträger im
bisherigen Umfang nachzukommen, wurde eine Änderung
des Stasi-Unterlagen-Gesetzes eingeleitet. Nach der ursprünglichen Fassung des entsprechenden Gesetzentwurfs
wären die Wirkungen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts weitgehend aufgehoben und der Schutz prominenter
Opfer des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR erheblich eingeschränkt worden. Auch Informationen, die unter Verletzung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses
oder unter Verstoß gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung gewonnen worden waren, hätten nach entsprechender
BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002
Interessenabwägung durch die Bundesbeauftragte gegen
den Willen der Betroffenen veröffentlicht werden können.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ist es gelungen, einen verbesserten Opferschutz zu erreichen, auch wenn die
Abwägungsklausel letztlich geblieben ist. Ich halte deswegen das Fünfte Gesetz zur Änderung des Stasi-UnterlagenGesetzes in der vom Deutschen Bundestag beschlossenen
Fassung für vertretbar, wenn es verantwortungsbewusst im
Interesse der Opfer angewandt wird, woran zu zweifeln ich
keinen Anlass habe.
Wenn auch die Auseinandersetzung um die Herausgabe von
Stasi-Unterlagen Prominenter mit der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts und der Änderung des StasiUnterlagen-Gesetzes zunächst beendet ist, so ist die dahinter
stehende Grundsatzproblematik, welche Beeinträchtigung
ihrer Grundrechte im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeiten hinnehmen müssen und wie weit insbesondere ihr
allgemeines Persönlichkeitsrecht und ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingeschränkt ist, trotz einer
Vielzahl von Urteilen zu Einzelfällen noch nicht abschließend geklärt.
1.13
Müssen Krankenkassen alles sehen?
Im Berichtszeitraum ist meine Rechtsauffassung auch noch
in einem anderen Fall durch höchstrichterliche Entscheidung bestätigt worden: Das Bundessozialgericht hat im Juli
2002 festgestellt, dass die Krankenkassen nicht aus eigenem
Recht Einsicht in Behandlungsunterlagen ihrer Versicherten
verlangen können, sondern insoweit auf ein Tätigwerden
des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen angewiesen
sind (vgl. Nr. 24.1.4). Dies kann auch nicht durch das Einholen entsprechender Einwilligungserklärungen der Versicherten zur Übermittlung von Behandlungsunterlagen umgangen werden. Diesem Urteil messe ich große Bedeutung
bei, die über den entschiedenen Fall hinausreicht. Es stellt
sich die gleiche Problematik bei der Frage, ob die Pflegekassen Einsicht in die Pflegedokumentation Pflegebedürftiger nehmen dürfen (vgl. Nr. 24.2.2). Auch hier vertrete ich
die Auffassung, dass zwischen Abrechnungsunterlagen und
der Pflegedokumentation, die unter anderem hochsensible
Anamnese- und Diagnosedaten enthält, unterschieden werden muss und dass letztere nur an den Medizinischen Dienst
der Krankenkassen übermittelt werden darf.
Bei den privaten Krankenversicherern ist die Situation nicht
die gleiche, aber auch hier besteht Einigkeit, dass sensible
Unterlagen wie etwa OP-Protokolle bei den Krankenhäusern nicht pauschal unter Hinweis auf eine generelle Einwilligung und Schweigepflichtentbindung des Versicherten angefordert werden dürfen, sondern nur, wenn dies im
Einzelfall zur Feststellung der Leistungspflicht erforderlich
ist (vgl. Nr. 28.7.2).
Zur Beurteilung der Leistungspflicht im Einzelfall erheben
die privaten Krankenversicherungen der ärztlichen Schweigepflicht unterliegende Gesundheitsdaten bei Ärzten, Krankenhäusern sowie auch bei Rentenversicherungsträgern, soweit
es beispielsweise um die Feststellung der Voraussetzungen
für die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente geht. Dabei
wird auf eine allgemein gehaltene, in pauschaler Form abgegebene Schweigepflichtentbindungserklärung zurückgegriffen, die die Versicherten bei dem oftmals Jahre zurückliegenden Vertragsabschluss abgegeben haben. Meiner