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hierzu nicht alle Fragen geklärt. Zwar ist durch das Gesetz
zur Änderung der Strafprozessordnung vom 6. August 2002
in § 81e StPO jetzt klargestellt worden, dass auch die Untersuchung von Spurenmaterial einer unbekannten Person nur
durch den Richter angeordnet werden darf (vgl. Nr. 8.2.3.1).
Eine entsprechende Klarstellung, dass auch DNA-Analysen
für Zwecke künftiger Strafverfahren nach § 81g StPO und
§ 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz ausschließlich aufgrund richterlicher Anordnung durchgeführt werden dürfen,
fehlt aber nach wie vor (vgl. Nr. 8.2.3.3). Auch eine gesetzliche Regelung für die Durchführung von DNA-Massentests
halte ich für erforderlich (vgl. Nr. 8.2.3.2). Skeptisch beurteile ich hingegen Überlegungen, den Straftatenkatalog des
§ 81g Abs. 1 StPO auszuweiten (vgl. 8.2.3.4) oder sogar
vorsorglich von allen Bürgern oder allen Männern DNAIdentifizierungsmuster zu erheben und in eine DNA-Analyse-Datei einzustellen, was meines Erachtens eindeutig gegen das Grundgesetz verstieße (vgl. Nr. 13.3).
Ich sehe die Gefahr, dass der scheinbar objektive und unanfechtbare Beweiswert von Genanalysen neue Missbrauchsmöglichkeiten schaffen kann; das reicht vom Austausch
oder der Manipulation von Genproben bis hin zum Legen
falscher genetischer Spuren.
schwiegen oder zumindest heruntergespielt. So werden zunehmend Systeme entwickelt, die es in technisch
unterschiedlicher Weise und zu unterschiedlichen Zwecken
erlauben, den genauen Aufenthalt eines Menschen festzustellen. Vielfach geschieht dies über das Handy, das heute
weit verbreitet ist. So wurden im Berichtszeitraum in § 9
Abs. 4 Bundesverfassungsschutzgesetz und § 100i Strafprozessordnung die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz des
so genannten IMSI-Catchers geschaffen (vgl. Nr. 8.2.4), mit
dessen Hilfe eine bestimmte Person über ihr Mobiltelefon
geortet werden kann, aber auch eine Vielzahl weiterer Bürger, die sich zufällig in der Nähe aufhalten. Ortungsmöglichkeiten bieten inzwischen auch zusätzliche Funktionen
im Handy und bestimmte Dienste in den Mobilfunknetzen
(vgl. Nr. 11.10.4), die es erlauben, den genauen Standort des
Handys und damit auch seines Inhabers zu bestimmen. Mit
anderer Technik und zu anderen Zwecken erfolgt eine Ortung künftig auch im Zusammenhang mit der Mauterhebung
für LKW auf deutschen Autobahnen (vgl. Nr. 29.1), die natürlich nicht nur Standort und Fahrtroute der LKW erfasst,
sondern auch von deren Fahrern. Weitere Ortungsmöglichkeiten von Personen sind in der Entwicklung oder kommen
sogar schon zum Einsatz.
Meiner Forderung nach einer entsprechenden umfassenden
gesetzlichen Regelung wurde bislang nicht entsprochen,
wenn ihre Berechtigung auch – soweit ersichtlich – allgemein anerkannt wird. Es ist sicher wichtig und richtig, ein
solches Vorhaben gründlich vorzubereiten, zu diskutieren
und wegen der länderübergreifenden Auswirkungen auch in
den europäischen Kontext einzustellen. Dies darf aber nicht
dazu führen, dass eine Regelung unvertretbar lange auf sich
warten lässt und in der Zwischenzeit gesellschaftspolitische
Fakten geschaffen werden, wie sich dies bei der heimlichen
Überprüfung von Vaterschaften schon anbahnt.
All diesen Möglichkeiten und Systemen ist gemeinsam,
dass sich gegen ihren Einsatz im Einzelfall, soweit er auf
gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen erfolgt, grundsätzlich
nichts sagen lässt: Es ist legitim, die neuen technischen Entwicklungen zu nutzen, um Terroristen zu bekämpfen oder
Straftäter zu verfolgen, um Gefahren von Kindern abzuwehren, Menschen in Not aufzuspüren oder auch nur die Arbeit
von Außendienstmitarbeitern zu optimieren oder verlorene
Handys wiederzufinden. Zugleich werden aber technische
Kontrollsysteme und eine Überwachungsstruktur aufgebaut,
die, einmal vorhanden, auch noch zu ganz anderen Zwecken
genutzt werden könnten und deren gesetzes- und datenschutzkonforme Anwendung letztlich nicht mehr kontrollierbar ist. Soft- und Hardware, die das Aufspüren von Menschen mit deren Einverständnis und zu ihrem Schutz
erlauben, lassen sich technisch in gleicher Weise auch ohne
das Einverständnis und zum Nachteil des Betroffenen einsetzen, und zwar auch dann, wenn dieser sich nichts hat zu
schulden kommen lassen. Häufige Ortungen der gleichen
Person erlauben darüber hinaus auch die Erstellung von Bewegungsprofilen. Auch hier zeigt sich wieder, dass die
Summe von nützlichen und für sich gesehen datenschutzkonformen Anwendungen insgesamt ein Bedrohungspotenzial für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, das von den Betroffenen und auch in der
gesellschaftspolitischen Diskussion so zunächst nicht wahrgenommen wird. Umso wichtiger ist es, sich rechtzeitig Gedanken darüber zu machen, welche technischen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um den
Nutzen der neuen technologischen Möglichkeiten zu bewahren und die Bedrohung für das Persönlichkeitsrecht des
Bürgers so gering wie möglich zu halten.
1.10
1.11
Aber der Einsatz von Genomanalysen beschränkt sich schon
lange nicht mehr auf die Verbrechensbekämpfung und die
Überführung von Straftätern. Ob es um die Feststellung von
Kindschaftsverhältnissen geht, um den Abschluss von Lebens- oder Krankenversicherungsverträgen, um Einstellungen oder Kündigungen im Arbeitsleben, überall ist die Nutzung von Gentests denkbar oder wird sogar bereits
praktiziert. Anders als im Strafverfahren fehlen hier aber
spezielle rechtliche Regelungen und das allgemeine Datenschutzrecht reicht vielfach nicht aus, um Missbrauch entgegenzutreten, fairen Interessenausgleich zu gewährleisten
und diesen Kernbereich der Persönlichkeit eines jeden Menschen wirkungsvoll zu schützen (vgl. Nr. 28.5).
Dies kann zu fatalen Konsequenzen führen, wenn nicht bald
Rechtssicherheit geschaffen wird, was zulässig ist und was
nicht. Zentrales Anliegen dabei ist, ein gegen jedermann gerichtetes, ausdrückliches und strafbewehrtes Verbot zu
schaffen, ohne besondere Befugnis die Analyse des Genoms
eines anderen durchzuführen oder durchführen zu lassen
oder Ergebnisse einer entsprechenden Analyse zu verarbeiten oder zu nutzen.
Der Bürger wird geortet
Der technologische Fortschritt eröffnet immer neue Möglichkeiten, an die früher nicht zu denken war. Meist werden
die Vorteile herausgestellt, die für den Einzelnen damit verbunden sind, die oft negative Kehrseite wird vielfach ver-
Biometrie – der Bürger wird vermessen
Nicht zuletzt aufgrund gestiegener Sicherheitsanforderungen
und des Wunsches nach absolut täuschungs- oder fälschungssicherer Identifikation bzw. Verifikation von Personen rücken biometrische Verfahren immer mehr in den Blickpunkt
BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002