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Auffassung nach sind solche pauschalen und lange zurückliegenden Erklärungen keine hinreichende Grundlage für
die Übermittlung von Gesundheitsdaten durch die meiner
Aufsicht unterstehenden Rentenversicherungsträger. Auch
Eingaben aus dem Bereich der privaten Krankenversicherung belegen, dass Versicherte sich zum Teil an die lange
zurückliegenden Erklärungen zur Schweigepflichtentbindung gar nicht mehr erinnern. In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Vertretern der Datenschutzaufsichtsbehörden und der Versicherungswirtschaft, an der auch ich mich
beteilige, soll daher eine Überarbeitung des bisherigen Verfahrens angestrebt werden. Ziel ist, hier zu mehr Transparenz und einer Stärkung der Patientenrechte zu kommen.
1.14
Ausblick
Das Datenschutzrecht ist nicht statisch, sondern ständig im
Fluss. Durch den technologischen Fortschritt sowie politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen
ergeben sich ständig neue Themen und Problemfelder, für
die es eine adäquate datenschutzrechtliche Antwort zu finden gilt. Dabei geht es im Kern immer darum, das vom
Grundgesetz geschützte Persönlichkeitsrecht und das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung jeden Bürgers in immer wieder verändertem Umfeld und gegen ständig neue
Herausforderungen zu verteidigen und zu sichern. In meinem kurzen Überblick habe ich versucht, einige der Themen
zu skizzieren, die im Berichtszeitraum die datenschutzrechtliche Diskussion bestimmt haben. Einige der Probleme sind
mehr oder weniger zufriedenstellend gelöst, bei anderen befindet sich die Lösung zumindest in Arbeit, als Teil der ständigen Fortschreibung des Datenschutzrechts in Deutschland. Der rein nationale Rahmen ist aber vielfach schon zu
eng. Fortschreitende Globalisierung und im wahrsten Sinne
des Wortes grenzenloser Datenfluss machen eine Einbindung dieses Rechts in einen gesamteuropäischen Rahmen
oder darüber hinaus sogar internationale Vereinbarungen
immer wichtiger. Das beste Datenschutzrecht bleibt wirkungslos, wenn es vom Ausland aus problemlos umgangen
werden kann und selbst schwere Verstöße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen sanktionslos bleiben, weil
die verantwortliche Stelle unerreichbar im ferneren Ausland
ihren Sitz hat.
An dieser Stelle möchte ich den Blick aber auch auf einige
Themen lenken, die zurzeit noch nicht im Zentrum der aktuellen Datenschutzdiskussion stehen, aber in Zukunft durchaus Brisanz entfalten könnten:
Weiter oben (Nr. 1.2) habe ich bereits darauf hingewiesen,
dass die korrekte Umsetzung und Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen noch lange nicht überall gewährleistet ist. Die Datenschutzaufsichtsbehörden können in der
Regel nur Eingaben und Beschwerden nachgehen oder allenfalls stichprobenartig anlassunabhängige Kontrollen
durchführen. Das Risiko bei der Missachtung geltenden Datenschutzrechts ist deswegen insbesondere im nicht öffentlichen Bereich immer noch relativ gering und der Bürger reagiert mit Unverständnis und Hilflosigkeit, wenn er den
Eindruck gewinnen muss, der Schutz seines Grundrechts
auf informationelle Selbstbestimmung bestehe häufig nur
auf dem Papier. Ich halte deswegen Überlegungen, wie der
Gesetzesvollzug weiter verbessert werden kann, für erforderlich. Auch die Struktur der Datenschutzaufsicht in
Deutschland ist für Außenstehende schwer durchschaubar,
wie ich anhand vieler fehlgeleiteter schriftlicher oder mündlicher Anfragen und Beschwerden immer wieder feststellen
muss. Lässt sich die unterschiedliche Kontrollzuständigkeit
für Bundes- und Landes- bzw. Kommunalbehörden schon
allein aufgrund der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen
noch gut vermitteln, so erschließt sich die Zuständigkeit der
verschiedenen Aufsichtsbehörden der Länder für Beratung
und Kontrolle des nicht öffentlichen Bereichs trotz einheitlicher Rechtsgrundlage im Bundesdatenschutzgesetz vielen
Bürgern nicht. In Kreisen der Wirtschaft werden mitunter
die schwierigen und vor allem zeitaufwendigen Abstimmungsverfahren beklagt, wenn es um datenschutzrechtliche
Fragen und Gesetzesauslegungen geht, die bundeseinheitlich geklärt sein müssen oder sogar international Auswirkungen haben. Es wäre im Zuge der Neuordnung des Datenschutzrechts zu erwägen, für international oder bundesweit
operierende Großunternehmen und Verbände eine zentrale
Aufsichtsstelle zu schaffen, mit der Datenschutzfragen verbindlich und schnell geklärt werden können. Dies würde
nach meiner Überzeugung die Belange des Datenschutzes
im nicht öffentlichen Bereich fördern.
Anlass zu Sorge geben auch die ständig anwachsenden Datenbestände und ihre vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten, und zwar sowohl im öffentlichen wie auch im nicht öffentlichen Bereich. Es scheint mir deswegen angebracht zu
sein, noch einmal die Worte des Bundesverfassungsgerichts
in Erinnerung zu rufen, mit denen es das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung begründet hat. Dort heißt
es zur Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche
Lebenssachverhalte offenbart werden:
„Diese Befugnis bedarf unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes. Sie ist vor allem deshalb gefährdet,
weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf
manuell zusammengetragene Karteien und Akten zurückgegriffen werden muss, vielmehr heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche
oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (personenbezogene Daten [vgl. § 2 Abs. 1
BDSG]) technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind. Sie können darüber hinaus – vor allem
beim Aufbau integrierter Informationssysteme – mit anderen
Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne
daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann. Damit haben sich in einer bisher
unbekannten Weise die Möglichkeiten einer Einsichts- und
Einflußnahme erweitert, welche auf das Verhalten des Einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einzuwirken vermögen. Individuelle Selbstbestimmung setzt aber – auch unter den Bedingungen moderner
Informationsverarbeitungstechnologien – voraus, daß dem
Einzelnen Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder
zu unterlassende Handlungen einschließlich der Möglichkeit
gegeben ist, sich auch entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten“ (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember
1983 – 1BvR 209/83 u. a.).
Genau diese Entwicklung tritt heute aber ein, wenn hierfür
vielfach auch Gesichtspunkte der Kostensenkung, der Modernität und Effizienz ins Feld geführt werden. Dadurch
BfD 19. Tätigkeitsbericht 2001–2002