Drucksache 18/6545
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Als sich R*** mit einem anderen Rechtsextremisten in einem Chat über weitere zwei ihnen bekannte
Rechtsextremisten unterhielt, sprachen zwei V-Personen über zwei weitere V-Personen, ohne davon zu
wissen.
Und bei einem Schulungsabend einer rechtsextremen Kameradschaft, bei der neun Personen anwesend
waren, schulten sich vier V-Personen mit, ebenfalls ohne sich dabei als solche zu kennen. Sicher kann bei
einem solchen Vorgehen die Erkenntnislage verbessert und die Nachrichtenehrlichkeit der einzelnen VPersonen überprüft werden. Da jedoch auf Dauer eine Beobachtung aktivistischer und aggressiver rechtsextremer und neonazistischer Szenen ohne aktives Mitmachen und auch Einflussnahmen nicht möglich
ist, berührt ein solch dichtes Netz von Quellen die auch aus dem NPD-Verbotsverfahren bekannte Frage,
inwieweit die Sicherheitsbehörden die Organisation, die sie nur zu beobachten vorgeben, auch inhaltlich
steuern und motivieren.
Eine besondere Sensibilität für dieses Problem konnte der Sachverständige bei seiner umfangreichen Aktenrecherche nicht feststellen.
10. Probleme bereitete auch die Akteneinsicht in Akten des zum Bundesministerium der Verteidigung
(BMVg) gehörenden Instituts für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr, wo Bedenken wegen der postmortalen ärztlichen Schweigepflicht der Bundeswehrärzte geltend gemacht wurden.
Diese Bedenken konnten aber bei Abwägung des ärztlichen Verschwiegenheitsrechts mit dem Kontrollrecht des Parlaments zugunsten des letzteren überwunden werden.
11. Anfangs wurden im BMVg die Vorschriften des PKGrG so gelesen, dass § 6 Abs. 1 PKGrG § 5 Abs. 1
PKGrG insoweit einschränkt, als das PKGr – und damit auch der Sachverständige – von der Bundesregierung nur die Vorlage derjenigen Akten verlangen kann, die der „Verfügungsberechtigung der Nachrichtendienste des Bundes unterliegen“. Dies hätte bedeutet, dass der Sachverständige keinen Anspruch auf
Vorlage der Akten gehabt hätte, die sich auf R*** und seine Zeit bei der Bundeswehr bezogen, weil diese
Akten – obwohl unzweideutig innerhalb des Kontrollrahmens des § 1 Abs. 1 PKGrG – nicht der Verfügungsberechtigung des BfV unterliegen. Das BMVg hat diese Rechtsauffassung auf Bitten des BMI zurückgestellt.
Tatsächlich ergibt die Auslegung der einschlägigen Normen und ihrer Entstehungsgeschichte, dass die
scheinbare Einschränkung im § 6 Abs. 1 PKGrG auf Akten, die der „Verfügungsberechtigung der Nachrichtendienste des Bundes unterliegen“, keinen eigenen Regelungsinhalt hat. So auch die einschlägige
Kommentierung. Notwendige Ausnahmen des Akteneinsichtsrechts des PKGr und damit auch des Sachverständigen sind an anderer Stelle ausreichend berücksichtigt.
Der Sachverständige empfiehlt daher, diese Einschränkung im PKGrG bei der nächsten Reform des PKGr
ersatzlos zu streichen.
12. Ein Dauerbrenner in der Diskussion über die Legitimität des Einsatzes von V-Personen ist die Frage, ob
solche Personen im Rahmen ihres Einsatzes Straftaten begehen dürfen. Die Rechtslage scheint de lege lata
nach einem entsprechenden Urteil des OLG Düsseldorf klar zu sein. Danach rechtfertigt § 8 Abs. 2 BVerfSchG keine Begehung von Straftaten in oder anlässlich der Erfüllung von Aufträgen der Verfassungsschutzbehörden. Zur Reform des BVerfSchG, die Möglichkeiten der Einstellung solcher Verfahren vorsieht, äußert sich der Sachverständige in diesem Bericht ausdrücklich nicht.
Der Fall Corelli zeigt nach Überzeugung des Sachverständigen jedoch, dass es – trotz entgegenstehender
verbaler und schriftlicher Belehrung – in rechtsextremen und neonazistischen Szenen auf Dauer unmöglich ist, als ergiebige Quelle tätig zu sein, ohne dabei auch und immer wieder Straf-taten zu begehen.
Deshalb haben auf den Sachverständigen die in den Akten vielfach vorgefunden Belehrungen von R***
unehrlich gewirkt. In Anerkennung der Realität gibt es nur den Weg, der Rechtsprechung zu folgen und
V-Personen für alle von ihnen begangenen Straftaten zu bestrafen. Dann müssen aber auch die Belehrungen des BfV an die Rechtslage angepasst werden. Statt die V-Personen dazu zu verpflichten, keine Straftaten zu begehen, obwohl klar ist, dass dies auf Dauer unmöglich ist, müssten sie darüber belehrt werden,
dass sie für begangene Straftaten belangt werden können und das BfV sie dabei nicht schützen kann und
wird, wobei sich daran die nächste Frage anschließt, in welchem Ausmaß die Verfassungsschutzbehörden
durch entsprechende Steuerungen Straftaten ihrer Quelle befördern oder gar Anstiftung zu ihnen begehen.
13. Der Auftrag an den Sachverständigen, sämtliche Vorgänge im Zusammenhang mit der V-Mann-Person
Corelli zu untersuchen, umfasst nicht die Frage nach der Legalität, Legitimität und Zweckmäßigkeit des
Einsatzes von V-Personen zur Erfüllung des gesetzlichen Arbeitsauftrags an die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Zur Legitimität und Zweckmäßigkeit im Allgemeinen äußert sich der