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Positiv bewerte ich, dass der Entwurf eine besondere qualifizierte Begründungspflicht für die Anordnung oder
Verlängerung der Maßnahme sowie einen detaillierten
Katalog von Kriterien für die Berichte an die obersten
Justizbehörden, die Bundesregierung und den Deutschen
Bundestag vorsieht, vor allem die Vorgabe, alle von der
Überwachungsmaßnahme betroffenen Personen in den
Berichten aufzuführen.
Der Bundesrat hat zu dem Entwurf der Bundesregierung
im November 2004 Stellung genommen. Danach soll
etwa die technische Aufzeichnung fortgesetzt werden
können, selbst wenn Eingriffe in den absolut geschützten
Kernbereich festgestellt wurden, um danach erst über deren weitere Verwendung zu entscheiden. Außerdem sollen nach Auffassung des Bundesrates auch nicht strafbare
Vorbereitungshandlungen in den Straftatenkatalog des
§ 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO aufgenommen werden. Beides
widerspricht den verfassungsgerichtlichen Vorgaben. Ich
begrüße es, dass die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung den Vorschlägen des Bundesrates nicht zugestimmt hat (Bundestagsdrucksache 15/4533). Im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages habe ich mich zu
dem Gesetzentwurf geäußert. Dabei habe ich darauf gedrängt, dass die Ergebnisse des am 1. November 2004
vom BMJ vorgestellten Gutachtens des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Strafrecht
in Freiburg zur „Rechtswirklichkeit und Effizienz der
akustischen Wohnraumüberwachung“ soweit wie möglich bereits in diesem Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden (vgl. Nr. 7.1.4).
7.1.3
Symposium: „Staatliche Eingriffsbefugnisse auf dem Prüfstand“
Einhelliges Ergebnis des Symposiums zu den Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
akustischen Wohnraumüberwachung: Alle Befugnisregelungen des Bundes und der Länder zu verdeckten Datenerhebungen sind jetzt auf den Prüfstand zu stellen und in
weiten Bereichen neu zu fassen.
Um die rechtspolitische öffentliche Diskussion zu den
Folgerungen aus dem Urteil des BVerfG zur akustischen
Wohnraumüberwachung voranzubringen, habe ich am
8. November 2004 zu einem Symposium in der Berliner
Staatsbibliothek eingeladen, dessen Schwerpunkt die
Frage bildete, inwiefern neben der akustischen Wohnraumüberwachung auch andere staatliche Eingriffsbefugnisse, wie etwa die Telekommunikationsüberwachung, an
die Vorgaben des BVerfG anzupassen sind. Die Universitätsprofessoren Spiros Simitis (Frankfurt), Manfred Baldus (Erfurt), Friedhelm Hufen (Mainz) und Christoph
Gusy (Bielefeld) äußerten sich zu diesem Problemkreis.
Anschließend fand eine Podiumsdiskussion mit Rechtsund Innenpolitikern der Fraktionen des Deutschen Bundestages statt: Für die SPD-Fraktion Dr. Dieter Wiefelspütz,
für die CDU/CSU-Fraktion Stephan Mayer, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jerzy Montag und für
die FDP-Fraktion Rainer Funke. Als Vertreter der Kläger
vor dem BVerfG nahm der ehemalige Vizepräsident des
Deutschen Bundestages, Dr. Burkhard Hirsch, teil. Die
Veranstaltung fand mit rund 200 Gästen aus Politik, Wissenschaft, Verwaltung und den Sicherheitsbehörden eine
bemerkenswerte Resonanz.
Alle Beteiligten würdigten die Entscheidung des BVerfG
wegen ihrer herausragenden Bedeutung, die weit über
den Einzelfall hinaus geht und Auswirkungen auf alle
staatlichen Eingriffsbefugnisse zu heimlichen Ermittlungen hat.
Die Rechtslehrer kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass angesichts des hohen Stellenwertes, den das
BVerfG dem „absolut geschützten Kernbereich privater
Lebensgestaltung“ beimisst, auch die gesetzlichen Ermächtigungen zu anderen strafprozessualen, aber auch zu
präventiv-polizeilichen Überwachungsmaßnahmen reformbedürftig sind. Bislang enthalten die Polizei- und
Verfassungsschutzgesetze keine Vorschriften zum Schutz
dieses Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Hinzu
kommt, dass auch die verfahrensrechtlichen Regelungen
zur Benachrichtigung der durch die heimlichen Maßnahmen betroffenen Personen und zur Kennzeichnung der
verdeckt gewonnenen Daten entsprechend der Vorgaben
des BVerfG angepasst werden müssen.
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren sich parteiübergreifend ebenfalls einig, dass das Urteil auf die politische Debatte und die Gesetzgebung bei sämtlichen
staatlichen Eingriffsbefugnissen ausstrahlen wird.
Über das Symposium wurde ein Tagungsband erstellt, der
über meine Behörde zu beziehen ist. Er kann auch auf
meiner Homepage abgerufen werden.
7.1.4
Gutachten zur Rechtswirklichkeit
und Effizienz der akustischen
Wohnraumüberwachung
Eine Studie des Max-Planck-Instituts belegt geringe Anwendungszahlen, zeigt aber auch erhebliche Problembereiche auf.
Das BMJ stellte am 1. November 2004 ein Gutachten des
Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg zur „Rechtswirklichkeit und
Effizienz der akustischen Wohnraumüberwachung (großer Lauschangriff) nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO“ vor.
Die Studie beruht vor allem auf einer Aktenanalyse sämtlicher 119 Verfahren, in denen im Erhebungszeitraum von
1998 bis 2001 eine akustische Wohnraumüberwachung in
Deutschland beantragt wurde. Ergänzt wurden die Erkenntnisse der Aktenanalyse durch Expertengespräche
mit Richtern, Staatsanwälten und Polizeibeamten.
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die rechtlich hohen Voraussetzungen für den Einsatz der akustischen Wohnraumüberwachung, insbesondere der Grundsatz, diese Maßnahme nur als letztes Mittel umzusetzen,
im Wesentlichen gewahrt werden und bei der Anordnung
eine wirksame rechtliche Kontrolle stattfindet. Die Studie
lässt aber auch erhebliche Problembereiche erkennen, die
BfD
20. Tätigkeitsbericht
2003–2004