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durch den Gesetzentwurf (vgl. Nr. 7.1.2) noch nicht hinreichend berücksichtigt werden. So wies die akustische
Wohnraumüberwachung nur in rund der Hälfte der Fälle
einen Bezug zur Organisierten Kriminalität auf, deren
Bekämpfung sie jedoch primär dienen sollte. Die Anwendungshäufung der akustischen Wohnraumüberwachung
bei den Mord- und Totschlagsverfahren beinhaltet kritische Aspekte. Denn gerade im Bereich der Tötungsdelikte betrifft sie überwiegend die Kommunikation des Beschuldigten mit Personen seines Vertrauens und damit
den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung. Auch weist die Maßnahme nach den Ergebnissen
des Gutachtens nur eine sehr niedrige Erfolgsquote auf.
Nahezu die Hälfte der Maßnahmen führte zu keinerlei Ergebnis und ein wesentlicher Teil allenfalls zu indiziellen
Belastungen. Neben einer begrenzten Effizienz der akustischen Wohnraumüberwachung (nur 30 Prozent der angeordneten Maßnahmen wurden als erfolgreich oder bedingt erfolgreich eingestuft, nur in 7 Prozent der Fälle
brachten sie einen direkten Tatnachweis) belegt die Studie maßgebliche Schwierigkeiten bei der praktischen
Umsetzung der Maßnahme, wie z. B. bei der Installation
der technischen Mittel.
Im 19. TB (Nr. 8.4) hatte ich die Erforderlichkeit der Aufnahme bestimmter Delikte in den Anlasstatenkatalog des
§ 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO bezweifelt. Auch aufgrund des
Gutachtens sind – von der Bundesregierung damals noch
für verfrüht gehaltene – Rückschlüsse aus der tatsächlichen Verteilung der Anlasstaten nunmehr möglich. Ich
bedauere daher, dass die Reform der Bestimmungen zur
akustischen Wohnraumüberwachung bislang nicht dazu
genutzt wurde, den Anlasstatenkatalog auch unter dem
Aspekt des tatsächlichen Bedarfes einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Auf eine solche werde ich weiterhin
drängen.
Link zur Studie: http://www.bmj.de/enid/2c5c8db1101fd
6acfec919029ad0267e,55a304092d09/pr.html
7.2

Telekommunikationsüberwachung

Mit Sorge nehme ich zur Kenntnis, dass die Anzahl der
Telefonüberwachungen nach den §§ 100a, 100b Strafprozessordnung weiter angestiegen ist. Wurden im Jahr 2002
noch 21.874 Überwachungsmaßnahmen angeordnet, waren es gemäß der Statistik der Regulierungsbehörde für
Post und Telekommunikation im Jahr 2003 bereits
24 441. Der Trend ist seit Jahren ungebrochen. Angesichts des massiven Eingriffs der Maßnahmen in das
Grundrecht nach Artikel 10 GG gibt die Entwicklung immer wieder Anlass zur Kritik (vgl. 18. TB Nr. 6.4.2;
19. TB Nr. 8.2.5).
7.2.1

Reform der §§ 100a ff.
Strafprozessordnung

Die StPO-Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung sind dringend reformbedürftig.
Über die Effizienz der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen nach der StPO und die Verhältnismäßigkeit

BfD

20. Tätigkeitsbericht

2003–2004

ihres Einsatzes gab es bislang kaum Erkenntnisse, was
angesichts des deutlichen Anstiegs der angeordneten
Überwachungsmaßnahmen besonders misslich war. Nunmehr liegen die – mit Spannung erwarteten (vgl. 18. TB
Nr. 11.9; 19. TB Nr. 8.3) – Ergebnisse einiger Forschungsvorhaben vor, insbesondere der vom BMJ in Auftrag gegebenen Untersuchung „Rechtswirklichkeit und
Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach
den §§100a,100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“ des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht. Die Ergebnisse sind
unter verschiedenen Gesichtspunkten bemerkenswert.
– Die Effizienz des Einsatzes der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen darf bezweifelt werden. In
lediglich 23 Prozent der untersuchten Fälle bezogen
sich die Ermittlungserfolge direkt auf den die Telefonüberwachung begründenden Verdacht. Die übrigen Erfolge waren nur mittelbarer Natur, wovon etwa zwei
Drittel als „Hinweise auf Straftaten Dritter“ den größten Raum einnahmen.
– Die Häufigkeit der Anordnung von Überwachungsmaßnahmen führt offensichtlich nicht zu einer höheren Aufklärungsrate der davon erfassten Kriminalitätsbereiche, insbesondere im Vergleich vor allem mit
Großbritannien und den USA.
– Keinen Anlass zur Entwarnung geben die Ergebnisse
der Untersuchung auch, soweit es um die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes dieser Ermittlungsmaßnahmen geht. So gibt es Gründe für die Annahme, dass
die Telekommunikationsüberwachung nicht, wie gesetzlich vorgesehen, stets das letzte Mittel der Ermittlungsmaßnahmen ist. Der kontinuierliche Anstieg ihres Einsatzes kann gemäß der Studie zwar partiell
damit erklärt werden, dass die Anzahl der Mobilfunkteilnehmer in den letzten Jahren stark gewachsen ist.
Diese Entwicklung auf dem Telekommunikationsmarkt allein vermag jedoch nicht zu begründen, warum in immer mehr Verfahren zu dem Mittel der Telekommunikationsüberwachung gegriffen wird.
Die Ergebnisse der Untersuchung lassen auch in anderer
Hinsicht Defizite erkennen, die dringender Abhilfe bedürfen. Hierauf haben die Datenschutzbeauftragten des
Bundes und der Länder in einer Entschließung hingewiesen (vgl. Anlage 14). So muss der Straftatenkatalog des
§ 100a StPO im Sinne einer Reduzierung dringend überarbeitet werden. Die Untersuchung hat ergeben, dass sich
etwa 90 Prozent aller Überwachungsmaßnahmen in diesem Bereich auf nur fünf der achtzehn Deliktsgruppen als
Anlasstaten erstrecken. Eine Reduzierung des Kataloges
ist aber auch deshalb geboten, weil nach wiederholten
Erweiterungen inzwischen an der dem Katalog eigentlich
gedachten Begrenzungsfunktion gezweifelt werden muss.
Besondere Missstände hat die Untersuchung in Bezug auf
den Richtervorbehalt erkennen lassen. Diesem kommt in
der Praxis teilweise nicht die Wirksamkeit zu, die ihm
von Gesetzes wegen gebührt. Beispielsweise waren von
den untersuchten richterlichen Beschlüssen nur

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