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anzuschließen. Mit einem Beitritt von Rumänien und
Bulgarien könnten in einigen Jahren 30 Länder gemeinsam das SIS betreiben, dessen derzeitige Kapazitäten dem
nicht gewachsen wären.
Es geht jedoch nicht nur um eine kapazitätsmäßige Erweiterung dieser europaweiten polizeilichen Fahndungsdatei mit mehr als zwölf Millionen Datensätzen, sondern
auch um eine technische Fortentwicklung des vor
15 Jahren entwickelten Systems. Zudem soll der bereits
beschlossene Europäische Haftbefehl (vgl. Nr. 7.9.2) im
SIS technisch integriert werden. Datenschutzrechtlich
problematisch wäre die Umsetzung der von Polizeibehörden insbesondere nach dem 11. September 2001 erhobenen Forderungen nach neuen Funktionalitäten wie der
Einführung biometrischer Merkmale und erweiterten Zugriffsrechten. Denn dann würde das System seinen Charakter als polizeiliche Ausschreibungsdatei, die dem anfragenden Polizeibeamten Treffer anzeigt, verändern und
zu einem umfassenden polizeilichen Informationssystem
werden, das wegen seiner komplexen Struktur von der
Gemeinsamen Kontrollinstanz (GKI) und von den nationalen Datenschutzkontrollinstanzen nur unter Schwierigkeiten zu kontrollieren wäre. Hinzu käme noch die Frage
nach der Verantwortung für eine solche europaweite Datenbank.
In einem ersten Schritt hat der Rat mit der Verordnung
(EG) Nr. 871/2004 vom 29. April 2004 (ABl. EU-Nr. L 162
S. 29) u. a. die rechtlichen Voraussetzungen für einen
Teilzugriff von Europol und der nationalen Mitglieder
von Eurojust auf das SIS geschaffen. Die Verordnung
kann jedoch wegen eines nationalen Parlamentsvorbehalts, der bei Redaktionsschluss noch bestand, nicht angewendet werden.
Die GKI hat sich – ebenso wie das Europäische Parlament – frühzeitig in die Vorarbeiten zum SIS II eingeschaltet. Hierzu fand am 6. Oktober 2003 ein Symposium
im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments
statt, in dem sowohl der verantwortliche EU-Kommissar
wie auch namhafte Datenschutzexperten ihre Vorstellungen von einem künftigen SIS darlegten. Die GKI, die nur
sporadisch in den Ausbau des SIS einbezogen wurde, hat
in einer umfassenden Stellungnahme auf die Gefahren für
die Bürgerrechte hingewiesen, die von einem schleichenden Ausbau des geltenden SIS zu einem europaweiten
polizeilichen Informations- und Recherchesystem ausgehen können. Insbesondere hat die GKI kritisiert, dass die
Kommission den Ausbau mit maximalen Vorgaben vorantreibt, ohne dass eine politische Grundsatzentscheidung
über Aufgaben und Zweck des künftigen SIS II getroffen
wurde. Damit würden informationstechnische Fakten geschaffen, ohne dass zuvor der europäische Gesetzgeber
die notwendigen rechtlichen Grundlagen durch eine
Anpassung des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) geschaffen hat. Hinzu kommt die insgesamt
noch defizitäre Datenschutzstruktur innerhalb der so genannten Dritten Säule der EU. Ich habe diese Stellungnahme, die für die europäischen Institutionen bestimmt
war, auch den zuständigen Ausschüssen des Deutschen
Bundestages und der Bundesregierung zugeleitet.
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich auf
europäischer Ebene dafür einsetzt, die Weiterentwicklung
des SIS unter strikter Beachtung datenschutzrechtlicher
Vorgaben fortzusetzen und den hierfür notwendigen
rechtlichen Rahmen mit dem Ziel einer Stärkung der Bürgerrechte anzupassen.
Die Empfehlungen sind abrufbar unter www.bfd.bund.de;
Stichwort „Europa/Internationales“.
3.3.2.2 Datenschutzrechtliche Kontrolle von
Ausschreibungen nach Artikel 96
des Schengener Durchführungsübereinkommens
Ausschreibungen bezüglich Drittausländern, die zur Einreiseverweigerung registriert sind, bilden den Großteil
der Ausschreibungen zu Personen im SIS. Die GKI hat
eine gemeinsame Kontrolle dieser Ausschreibungen bei
den Mitgliedstaaten durchgeführt.
Auf Grund von Hinweisen auf möglicherweise unzulässige Ausschreibungen hat sich die GKI auf eine Kontrolle
der Ausschreibungen nach Artikel 96 SDÜ bei den Vertragsparteien verständigt. Zu diesem Zweck wurde in einem ersten Schritt mittels Fragebogens eine Bestandsaufnahme des Verfahrens nach Artikel 96 SDÜ bei den
Mitgliedstaaten durchgeführt.
Aufgrund der Antworten des BMI ergibt sich hinsichtlich
der von Deutschland veranlassten Ausschreibungen das
folgende Bild: Zum Zeitpunkt der Umfrage im Spätsommer 2003 bestanden von Seiten Deutschlands
ca. 270 000 der insgesamt 800 000 Ausschreibungen
nach Artikel 96 SDÜ im SIS. Deutschland hatte damit
nach Italien die meisten Ausschreibungen veranlasst. Die
weitaus überwiegende Anzahl der Ausschreibungen erfolgt nach Artikel 96 Abs. 3 SDÜ, also bei Einreiseverweigerung durch die zuständigen Ausländerbehörden der
Länder. Ein kleiner Teil ergeht auf der Grundlage des
Artikel 96 Abs. 2 SDÜ zur Gefahrenabwehr und erfolgt
in der Regel durch den BGS. Anlässlich der Fragebogenaktion hat mich das BMI ersucht, die eigentliche datenschutzrechtliche Kontrolle erst nach der für den
1. Mai 2004 anstehenden Erweiterung der EU durchzuführen, weil damit ca. 60 000 Ausschreibungen zu Drittausländern gelöscht würden, die nach diesem Zeitpunkt
Unionsbürger sind.
Die zweite Stufe der Überprüfung begann mit der Auswahl der zu überprüfenden Datensätze beim BKA auf der
Basis eines Zufallsgenerators. Die ca. 400 ausgewählten
Datensätze (ca. jeder 500ste) wurden anschließend von
den Landesbeauftragten für den Datenschutz im schriftlichen Verfahren oder vor Ort bei den Ausländerbehörden
überprüft. Lediglich in neun Fällen handelte es sich um
Ausschreibungen gem. Artikel 96 Abs. 2 SDÜ durch den
BGS. Als Ergebnis lässt sich festhalten:
– Die nach Artikel 96 SDÜ notwendige Entscheidung
ist zumeist in der Ausländerakte dokumentiert.
BfD
20. Tätigkeitsbericht
2003–2004