züglich des Fernmeldegeheimnisses fehlt jedoch eine dem § 5 Abs. 2 PostG entsprechende gesetzliche Regelung. In Rechtsprechung und Lehre wird deswegen vielfach auf "betriebsbedingte Schranken" (so Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar,
Art. 10 Rdnr. 66), "immanente Schranken" (so OLG Köln, NJW 1970, S. 1857) oder
in postbetrieblichen Erfordernissen begründete "innere Begrenzungen" (so BVerwG,
NJW 1984, S. 2112) des Schutzes von Art. 10 Abs. 1 GG verwiesen. Auch der Bundespostminister beruft sich in seiner Stellungnahme auf solche immanenten Schranken des Grundrechts, die sich aus betrieblichen Erfordernissen, insbesondere aus
der Sicherung des ordnungsgemäßen Gebrauchs der Fernmeldeeinrichtungen, ergäben.
Diese Sicht wird dem Sinn der Grundrechte nicht gerecht. Der Grundrechtsschutz
bezieht sich auf Bürgerverhalten. Dieses soll frei sein. Staatliche Maßnahmen gegenüber grundrechtsgeschütztem Bürgerverhalten sind Eingriffe. Im Interesse der Individualfreiheit werden sie besonderen Anforderungen unterworfen, die sich vor allem
aus der Schrankenregelung des betroffenen Grundrechts und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben. Die Lehre von den immanenten Grenzen des Fernmeldegeheimnisses geht dagegen von den Bedürfnissen der Post und also von der - ihrer
Auffassung nach nötigen und berechtigten - staatlichen Maßnahme zur Mißbrauchsbekämpfung, nicht vom Schutzbedürfnis des Bürgers aus. Sie ist folglich eingriffsorientiert. Eingriffsorientierte Gesichtspunkte haben aber bei der Definition des Schutzbereichs keinen Platz. Grundrechtliche Schutzbereiche lassen sich nicht nach
Eingriffsnotwendigkeiten zuschneiden. Die Möglichkeit von Grundrechtsmißbräuchen
kann ein rechtfertigender Grund für Grundrechtsbeschränkungen, nicht aber für
Schutzbereichsbegrenzungen sein. Würde der Schutzbereich von Eingriffsbedürfnissen her bestimmt, so könnte das Grundrecht den Einzelnen auch nicht mehr vor fehlerhafter, mißbräuchlicher oder exzessiver Verwertung von Kommunikationsdaten
durch die Post oder andere staatliche Stellen schützen. Denn ein Kommunikationsdatum, das aus dem Schutzbereich des Grundrechts herausfällt, kann auch nicht Gegenstand eines Grundrechtseingriffs und einer Grundrechtsverletzung sein. Deswegen ist davon auszugehen, daß alle der Post zur Beförderung oder Übermittlung
anvertrauten Kommunikationsvorgänge, -träger und -inhalte den Schutz des Art. 10
Abs. 1 GG genießen. Die Bedürfnisse des Postbetriebes und der Schutz anderer
Fernsprechteilnehmer werden dadurch nicht außer acht gelassen, aber in den Bereich des Eingriffs und der Schrankenregelung verwiesen.

49

b) Die Deutsche Bundespost hat durch die Gesprächsbeobachtung und die Weitergabe der dabei gewonnenen Erkenntnisse an die Klägerin des Ausgangsverfahrens
in das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 10 Abs. 1 GG eingegriffen.

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Da Art. 10 Abs. 1 GG die Vertraulichkeit der Kommunikation schützen will, ist jede
Kenntnisnahme, Aufzeichnung und Verwertung von kommunikativen Daten durch die
Deutsche Bundespost oder andere staatliche Stellen Grundrechtseingriff. Am Eingriff
kann es nur dort fehlen, wo die Beteiligten selber den Kommunikationsvorgang offengelegt oder in dessen Erfassung durch die öffentliche Gewalt eingewilligt haben.

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