Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

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Das VG Berlin kam dann aber überraschend zu einem
deutlich anderen Verständnis des Anwendungsbereichs
des IFG. Aus § 1 Absatz 1 Satz 2 IFG, der eigentlich die
Anwendung des Gesetzes auf Einrichtungen des Bundes
ohne Behördeneigenschaft erweitern sollte (s. o.) und der
Definition des § 1 Absatz 4 VwVfG entwickelte es die
Auffassung, das IFG gelte generell nur, soweit öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrgenommen
würden, nicht aber für sog. Regierungstätigkeit. Tätigkeiten im Sinne politischer Staatslenkung, die sich nicht unmittelbar an den Staatsbürger wenden, seien nicht der öffentlichen Verwaltung zuzurechnen und unterlägen der
parlamentarischen Kontrolle, so dass keine Notwendigkeit bestehe, sie dem Anwendungsbereich des IFG zu unterwerfen (vgl. Urteil vom 10. Oktober 2007 – VG 2 A 101.06
– und vom 16. Januar 2008 – VG 2 A 68.06 –). Zur Regierungstätigkeit in diesem Sinne zählt das VG Berlin u. a.
auch die Vorbereitung und Begleitung von Gesetzentwürfen in den Ministerien, auch wenn diese Verfahren längst
abgeschlossen sind.
Diese Auffassung des Gerichts wurde von der Ministerialverwaltung als Steilvorlage dankbar aufgegriffen. War
bis zu dieser Rechtsprechung die Anwendbarkeit des IFG
auf die Tätigkeit in den Ministerien generell nicht in
Frage gestellt worden – auch das BMJ hatte sich in einem
der beiden vom VG Berlin entschiedenen Fällen keineswegs darauf berufen, das IFG sei nicht anwendbar –, wurden nach diesen Entscheidungen Informationsanträge, die
auf Informationen zu laufenden oder abgeschlossenen
Gesetzgebungsverfahren abzielten, regelmäßig abgelehnt.
In einigen Fällen, in denen selbst die Verwaltung die Einsicht in entsprechende Unterlagen für völlig unbedenklich
hielt, wurde diese „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ gewährt. Es blieb aber nicht bei der Einschränkung der Informationsfreiheit für Gesetzgebungsverfahren. Der Begriff der „Regierungstätigkeit“ ließe sich fast
beliebig ausweiten auf alle Fälle, in denen nicht gerade
Verwaltungsakte erlassen wurden, was in Bundesministerien eher selten der Fall ist. So wurden selbst Auskünfte
zum Einsatz von Dienstwagen wegen „Regierungstätigkeit“ abgelehnt (vgl. Nr. 4.13.1).
Ich halte diese Entwicklung nicht nur für vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt, sondern im Hinblick auf wachsende Klagen über Lobbyarbeit und Einflussnahme auf
die Gesetzgebung von außen für äußerst problematisch.
Gerade in diesem Bereich sollte Transparenz das oberste
Gebot sein, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Staatsverwaltung zu stärken. Gerade hierin
habe ich bislang auch das Hauptziel des IFG gesehen,
was im Gesetzeswortlaut auch eindeutig zum Ausdruck
kommt.
Noch liegen allerdings keine Gerichtsentscheidungen höherer Instanzen vor. Das OVG Berlin-Brandenburg hat in
einer Entscheidung, bei der es um die Rechtsetzung der
parlamentarischen Gremien ging, hinsichtlich der Vorbereitung von Gesetzen in den Ministerien eine andere Auffassung angedeutet (vgl. Urteil vom 6. November 2008 –
12 B 50.07 –, Rn. 24) und selbst das VG Berlin hat in einer kürzlich getroffenen Entscheidung bestimmte Vorbe-

reitungshandlungen für ein anstehendes Gesetzgebungsverfahren wieder dem IFG unterworfen (Urteil vom 17.
Dezember 2009 – VG 2 A 109.08 –). Sollte seine Rechtsprechung allerdings höchstrichterlich bestätigt werden,
müsste der Gesetzgeber tätig werden, wenn nicht wichtige Bereiche der Ministerialverwaltung auf Dauer der Informationsfreiheit entzogen bleiben sollen.
2.1.2

Was ist eine „Behörde“?

Nicht nur unter dem Aspekt des Regierungshandelns (vgl.
Nr. 2.1.1) bestreiten Stellen ihre Behördeneigenschaft.
Wiederholt verweigerten Stellen den Informationszugang
mit der Begründung, sie seien keine Behörde im Sinne
von § 1 Absatz 1 Satz 1 IFG und unterfielen damit nicht
dem IFG. So argumentierten beispielsweise die Kreditanstalt für Wiederaufbau (vgl. Nr. 4.9.6), die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (vgl. Nr. 4.9.7) oder
auch der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 91
SGB V (vgl. Nr. 4.14.3). In allen diesen Fällen verstanden die Stellen den Behördenbegriff zu eng.
Der im Rahmen des § 1 Absatz 1 Satz 1 IFG maßgebliche
funktionale Behördenbegriff des § 1 Absatz 4 VwVfG
(vgl. Nr. 2.1.1) setzt lediglich voraus, dass die fragliche
Stelle Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt
(vgl. Kasten). Unter öffentlicher Verwaltung ist dabei
jede staatliche Tätigkeit einer Organisationseinheit außerhalb von Rechtsetzung und Rechtsprechung zu verstehen
(sog. materieller Verwaltungsbegriff). Kommt der betroffenen Stelle in diesem Sinne die Rechtsqualität einer Behörde zu, unterfällt sie ohne weiteres und insgesamt dem
IFG. Weder kommt es darauf an, ob das VwVfG auch im
konkreten Fall auf die Behörde anwendbar wäre, noch
spielt es eine Rolle, ob sie öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich handelt.
K a s t e n zu Nr. 2.1.2
§ 1 Absatz 4 VwVfG
Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist jede Stelle, die
Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.
Eine Beschränkung enthält § 1 Absatz 1 Satz 1 IFG lediglich insofern, als es sich bei der Behörde um eine solche
des Bundes handeln muss. Damit sind Landes- und Kommunalbehörden vom Anwendungsbereich des IFG ausgenommen. Innerhalb der Bundesverwaltung gibt es aber
keine Ausnahmen. Das IFG gilt sowohl für die unmittelbare als auch für die mittelbare Bundesverwaltung, also
auch für Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und damit beispielsweise auch für entsprechend organisierte Krankenkassen oder Träger der
gesetzlichen Unfallversicherung.
Verbunden mit der klarstellenden Regelung des § 1
Absatz 1 Satz 2 IFG, nach der auch sonstige Organe und
Einrichtungen des Bundes dem IFG unterliegen, soweit
sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen (vgl. Nr. 2.1.1), und der in § 1 Absatz 1 Satz 3 IFG

2. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit

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