Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

1833

Volker Beck (Köln)

(A)

gemeinsame Adoption durch Lebenspartner zuzulassen, wird sie keinen Gebrauch machen.
Außer einem Nein zur gemeinschaftlichen Adoption
hat Ihr Gesetzentwurf also keine Substanz. Das finde ich
für die Sozialdemokratie schon beschämend.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN)
Sie sind im Wahlkampf vollmundig angetreten: für
100 Prozent Gleichstellung, für die Öffnung der Ehe
– ich habe die Anzeige dabei – und für die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften
und künftigen Ehen im Adoptionsrecht.
Dass Sie das mit der Ehe nicht hinbekommen, Frau
Kollegin, ist geschenkt. Ich weiß, wie schwierig das ist
und dass das für die Union eine hoch ideologische Frage
ist. Dass Sie das aber bei der Adoption noch nicht einmal
versucht haben, finde ich in der Tat beschämend. Von
100 Prozent Gleichstellung, den Wählerinnen und
Wählern versprochen, ist 0 Prozent Rechtsänderung
übriggeblieben. Weniger geht nun wirklich nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN)
Sie haben als Notar nicht einmal die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts ordentlich umgesetzt.
Sie haben offensichtlich in Ihrem Ministerium noch
nicht einmal jemanden beauftragt, das Urteil bis zum
Ende durchzulesen. In Randnummer 104 steht – der
Kollege hat das schon teilweise zitiert –:

(B)

Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener
Lebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen
könnten, bestehen nicht;
Dann sagt das Bundesverfassungsgericht, dass die Bestimmung im Lebenspartnerschaftsgesetz, die das Adoptionsrecht beschränkt, verfassungswidrig ist. Aber das
Bundesverfassungsgericht gibt Ihnen, dem Gesetzgeber,
die Aufgabe auf, diese Frage zu klären. Es weist darauf
hin, dass das nicht nur über die Einführung der gemeinschaftlichen Adoption geht.
Neben der naheliegenden Angleichung der Adoptionsmöglichkeiten eingetragener Lebenspartner an
die für Ehepartner bestehenden Adoptionsmöglichkeiten wäre auch eine allgemeine Beschränkung der
Adoptionsmöglichkeiten denkbar, sofern diese für
eingetragene Lebenspartner und Ehepartner gleich
ausgestaltet würden.
Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen klar auf den
Weg gegeben: Sie dürfen beim Adoptionsrecht nicht
zweierlei Recht für Ehe und Lebenspartnerschaft bestehen lassen. Genau das tun Sie aber mit Ihrem Gesetzentwurf. Ich finde, Ihr Gesetzentwurf ist ein Fall für die
Haftpflichtversicherung, Herr Notar; denn Sie haben
hier einen Schaden herbeigeführt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es geht nicht nur um Recht und Gesetz und darum, ob
Sie Ihre Wahlversprechen eingehalten haben. Das Pro-

blem ist schlichtweg: Adoptionskindern muten Sie zu, (C)
erst nach ein, zwei Jahren durch ein Sukzessivadoptionsverfahren tatsächlich zu einer Familie mit zwei Elternteilen zu kommen, die sorgeberechtigt und unterhaltspflichtig sind und gegenüber denen das Kind
Erbansprüche hat. Zuvor haben diese Kinder nur ein
Elternteil. Das ist eine sozial- und familienrechtlich instabilere Situation. Das gereicht dem Kind nur zum
Schaden. Wer in dieser Debatte noch einmal das Wort
„Kindeswohl“ in den Mund nimmt und diese Position
verteidigt und vertritt, sollte vor Scham im Boden
versinken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort Dr. Karl-Heinz Brunner.
(Beifall bei der SPD)
Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Beck,
dann wäre ich der Nächste, der vor Scham im Boden
versinken müsste. Ich tue es aber nicht; denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass uns das Bundesverfassungsgericht wieder einmal gezeigt hat, wo es langgeht. Es
sagt glasklar: Alle Menschen sind vor dem Gesetz
gleich. – Dies gilt bei einer Adoption durch gleichgeschlechtliche Lebenspartner und – noch viel wichtiger –
für alle Kinder dieses Landes. Nehmen Sie es mir nicht
übel, aber eigentlich hätten wir selbst darauf kommen (D)
müssen. Ich weiß, dass der große Teil der Abgeordneten
des Deutschen Bundestages auch darauf gekommen ist.
Leider haben wir dies noch nicht – ich sage das ganz bewusst – über alle politischen Gegensätze hinweg selbst
in die Hand genommen. Mein Wunsch ist, dass wir die
Parteigrenzen außer Acht lassen und sagen: Wir müssen
die Kinder und die Familien in den Mittelpunkt stellen.
Lieber Kollege Beck, ich gehe davon aus, dass Sie in
Koalitionsverhandlungen wahrscheinlich auch kein
besseres Ergebnis erzielt hätten.
(Beifall bei der SPD)
Ja, wir freuen uns, wenn in Deutschland Kinder großgezogen werden, wenn sie geborgen, gefördert, umsorgt
und geliebt sind, egal welche sexuelle Orientierung die
Eltern haben. Wir wollen Familien, Solidarität und gemeinsames Einstehen für die Kinder, ganz egal in welcher Konstellation. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, und wir stehen dazu. Wir, die SPD, stehen dafür
ein, ohne Zögern, ohne Lavieren und ohne Angst. Aber
ich weiß, dass dies in Deutschland und auch in diesem
Hohen Haus keine hundertprozentige Zustimmung
erfährt. Ich weiß, dass sich manche Kolleginnen und
Kollegen unseres geschätzten Koalitionspartners noch
immer schwertun, den Schritt in Richtung Gleichstellung so zu gehen, wie ich und vielleicht auch andere in
diesem Hause ihn gerne gehen würden. Ich akzeptiere
dies. Gerade deshalb möchte ich Sie gerne mitnehmen,
Ihnen den Weg erleichtern und Ihnen dazu fünf Argumente an die Hand geben.

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