Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

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Dr. Stephan Harbarth

(A) hatte nichts damit zu tun, den Untersuchungsgegenstand
verwässern zu wollen – das ist vorhin angeklungen –,
sondern damit, dass das Recht des Parlaments, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, niedergelegt im
Grundgesetz, gestärkt und fortentwickelt durch jahrzehntelange Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, eines der wichtigsten Rechte dieses Parlaments
ist. Deshalb war es wichtig, dass wir uns mit großer
Sorgfalt der Ausgestaltung des Untersuchungsgegenstandes angenommen haben, dass wir dies mit großer
Gewissenhaftigkeit getan haben, dass wir verfassungsrechtliche Vorgaben, etwa an die Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes, beachtet haben. Dies haben
wir in den vergangenen Wochen getan.
Wir haben die Grenzen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Deutschen Bundestages im Bereich der
Gesetzgebung und im Bereich der Kontrolle der Bundesverwaltung zugrunde gelegt. Wir haben geeignete Anknüpfungspunkte gewählt, etwa indem wir abstellen auf
Kommunikationsvorgänge von, nach und in Deutschland
und indem wir anknüpfen an die Kenntnis deutscher Behörden. Ich glaube, es war richtig, dass wir uns in den
Diskussionen darauf geeinigt haben, die Länder, deren
Nachrichtendienste wir jetzt näher in den Blick nehmen
möchten, zu begrenzen auf die sogenannten Five Eyes,
auf die USA, Großbritannien, Kanada, Australien und
Neuseeland. Wir haben auch über die Frage diskutiert,
ob man möglicherweise viele andere Länder mehr in den
Blick nehmen sollte. Ich bin der festen Überzeugung: Es
gibt gegen die Länder, auf die der Untersuchungsgegenstand gerichtet ist, im Augenblick eine Verdachtsquali(B) tät, die sich von der Verdachtsqualität gegen alle anderen
Länder unterscheidet. Es ist nicht nur eine Frage außenpolitischer Klugheit, sondern auch eine Frage der Angemessenheit des Umgangs, dass man nicht alle Länder,
gegen die man vielleicht einen kleinen Verdacht hegt,
auf die Schwelle der Länder hebt, bei denen wir im Augenblick ein hohes Verdachtsniveau haben.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Schauen wir mal! Es ist ja noch
Zeit!)
Wir haben es mit einem Untersuchungsgegenstand zu
tun, der die Bevölkerung sehr bewegt. Wir haben in den
vergangenen Monaten in der Bevölkerung viel Enttäuschung, viel Verunsicherung, viel Wut vernommen. Wir
haben erlebt, wie Dinge in einem Ausmaß zutage getreten sind, das man sich zuvor nicht vorgestellt hatte. Wir
haben erlebt, wie die Sorge vor Totalüberwachung, vor
totaler Erfassung, vor totaler Speicherung von Daten
ganz lebendig und ganz aktuell geworden ist. Wir haben
erlebt, wie die Sorge vor dem Ausspähen von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen ganz aktuell geworden ist.
Wir haben erlebt, dass unser Verständnis von Bürgerrechten, hier insbesondere unser Verständnis vom Recht
auf informationelle Selbstbestimmung, das das Bundesverfassungsgericht ja schon vor Jahrzehnten als Grundrecht etabliert hat, und unser Verständnis vom Recht auf
die Möglichkeit einer geschützten Kommunikation fundamental bedroht sind. Das hat nicht nur etwas mit dem
11. September 2001 und den Erfahrungen, die insbeson-

dere die USA in diesem Zusammenhang gemacht haben, (C)
zu tun. Es hat aber viel damit zu tun.
Wir müssen in den kommenden Monaten und Jahren
klarmachen, wie unser Verständnis vom Zusammenspiel
von Freiheit und Sicherheit ist. Wir wissen: Freiheit
ohne Sicherheit ist nicht möglich. Freiheit ohne Sicherheit ebnet nur dem Stärkeren den Weg. Aber wir wissen
umgekehrt auch, dass hemmungsloses Streben nach immer mehr Sicherheit Freiheitsrechte in einem Land niemals niedertrampeln darf. Das ist unsere tiefste Überzeugung; die müssen wir auch nach außen vertreten.
Es wird im Untersuchungsausschuss um Aufklärung
gehen. Aufklärung muss bedeuten, dass Missstände angesprochen werden. Aufklärung muss aber auch bedeuten, dass man unbefangen und offen an Themen herangeht. Deshalb, Frau Kollegin Renner, hätte ich es sehr
begrüßt, wenn Sie heute nicht geäußert hätten, wovon
Sie im Einzelnen ausgehen, wer alles auf dieser Welt der
Böse ist, sondern wenn Sie zunächst einmal die Sachaufklärung an den Anfang gestellt hätten.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ja, richtig!)
Der Untersuchungsausschuss ist ein Instrument, das
mit vielen gerichtlichen Befugnissen ausgestattet ist.
Aus Gerichtsverfahren wissen wir, dass es gute Praxis
ist, dass sich ein Richter zunächst einmal den Sachverhalt anschaut und dann zu bestimmten Folgerungen
kommt und dass er das nicht umdreht,
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: So ist das!)
mit bestimmten Mutmaßungen, mit bestimmten Folgerungen beginnt und danach sagt: Jetzt schaue ich mir
noch den Sachverhalt an, dass er auch in mein Weltbild
passt. – Das ist nicht unser Verständnis der Herangehensweise.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es wird im Untersuchungsausschuss auch um politische Folgerungen gehen. Es wird darum gehen, Folgerungen im rechtlichen Bereich zu ziehen, zu überlegen:
Welche rechtlichen Stellschrauben müssen wir verändern? Ich denke etwa an die Frage: Wie gestalten wir in
Europa die Datenschutz-Grundverordnung aus? Es wird
auch viele andere Themen geben, die uns bewegen. Ich
bin der festen Überzeugung, dass sie weit über den Bereich der Rechts- und Innenpolitik hinausgehen.
Das, was wir erleben, hat auch etwas damit zu tun,
dass unser Kontinent in vielen wirtschaftlichen Bereichen – ich nenne die Automobilindustrie, den Maschinenbau usw. – auf diesem Globus führend ist. Nicht führend auf diesem Globus ist unser Kontinent auf dem
Gebiet der digitalen Wirtschaft. Das hat auch etwas mit
der Frage zu tun, wer eigentlich in dieser Welt die Technologieführerschaft im Bereich der digitalen Wirtschaft
innehat. Ich wünsche mir, dass Europa nicht in einem
Akt der Hilflosigkeit auf andere Kontinente schaut, sondern dass Europa auch im Hinblick auf die Technologieführerschaft in diesen Bereichen auf Augenhöhe ist.

(D)

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