Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

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Christian Flisek

(A) die wir an unsere Partner in Europa und an unsere
Freunde jenseits des Atlantiks adressieren.
Der Deutsche Bundestag beschließt heute die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der die Aufgabe
hat, Art und Umfang der massenhaften Überwachung
von Kommunikationsdaten vor allem durch US-amerikanische und britische Nachrichtendienste aufzuklären.
Zentrale Aufgabe dieses Untersuchungsausschusses eines deutschen Parlaments muss ganz klar sein, vorbehaltlos aufzuklären, inwieweit unsere Dienste und deutsche Behörden sich an derartigen Aktivitäten beteiligt
haben, inwieweit sie diese unterstützt oder rechtswidrig
davon profitiert haben. Wenn hier die notwendige Zusammenarbeit mit anderen Staaten derart instrumentalisiert wurde, dass deutsche Rechtsvorschriften systematisch umgangen wurden, dann muss diesem Treiben
umgehend ein Riegel vorgeschoben werden.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Clemens
Binninger [CDU/CSU])
Was die insgesamt 31 Fragen des Einsetzungsantrages
als detailliertes Untersuchungsprogramm des Ausschusses festlegen, kann man folgendermaßen zusammenfassen: Gibt es in Zeiten weltweiter digitaler Kommunikation noch so etwas wie Vertraulichkeit, informationelle
Selbstbestimmung und Unschuldsvermutung? Was müssen wir in Deutschland und Europa tun, um unserem
Verständnis von Grundrechten, aber auch unserem Verständnis vom Primat rechtsstaatlicher und demokratischer Politik wieder Geltung zu verschaffen? – Ich bin
daher sehr froh, dass wir uns im Untersuchungsaus(B) schuss nicht nur mit der vorbehaltlosen Aufklärung der
Missstände, sondern auch mit der Entwicklung von Lösungen befassen werden.
Wenn ich von einer vorbehaltlosen Aufklärung der
Missstände spreche, dann bedeutet dies selbstverständlich auch, dass kein zugängliches Beweismittel von
vornherein ausgeschlossen werden darf. Sosehr es sich
verbietet, im jetzigen Stadium, noch bevor das erste Aktenstück bestellt und eingegangen ist, über Zeugenlisten
zu spekulieren, so sehr kann man die Augen nicht davor
verschließen, dass die Aussage des Auslösers, desjenigen, der das Ganze ins Rollen gebracht hat, natürlich
auch ein taugliches Beweismittel ist.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Aha! Das hören wir gerne!)
Selbstverständlich kommt auch Edward Snowden als
Zeuge für den Ausschuss in Betracht. Herr Ströbele, Sie
kennen den Antrag; sein Name findet sich im Text unseres gemeinsamen Antrags sogar an prominentester
Stelle. Wer sich mit seinen zum Teil sehr kryptischen öffentlichen Aussagen in Fernsehinterviews und mit seinen schriftlichen Einlassungen gegenüber dem Europäischen Parlament befasst, der wird, so wie auch ich, hier
einige Fragen haben, die berechtigt sind.
In welcher Weise eine Vernehmung von Herrn
Snowden erfolgen kann, muss im Ausschuss gemeinsam geklärt werden. Hier ist vieles vorstellbar. Auch
die Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament haben hier einen gemeinsamen Weg gefunden.

Ich betone aber ausdrücklich: Der Ausschuss dient der (C)
Aufklärung in der Sache und nicht der medialen Inszenierung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Herr Kollege Dr. von Notz, ich bleibe bei dieser Feststellung, auch wenn Sie sie zuvor kritisiert haben.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Die teile ich!)
Herr Ströbele, lassen Sie mich noch eines sagen: Die
Bundeskanzlerin ist in meinen Augen nicht das wichtigste Opfer.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Aber auch ein Opfer!)
Das wichtigste Opfer sind die Bürgerinnen und Bürger
und ihre Grundrechte.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Frau Bundeskanzlerin ist in dieser Affäre nur ein
Opfer; das möchte ich hier richtigstellen.
Lassen Sie mich einen anderen Aspekt anführen. Wir
sollten in Bezug auf unsere amerikanischen Partner nicht
mit Schaum vor dem Mund operieren. Dass in hohem
Maße Vertrauen verloren gegangen ist, wurde bereits bei
vielen Gelegenheiten, auch in diesem Hause, deutlich an
die amerikanische Seite adressiert. 9/11, der Anschlag
auf das World Trade Center in New York, ist tief im
amerikanischen Gedächtnis und auch in unserem Gedächtnis verwurzelt. Dennoch kann die Formel vom (D)
Kampf gegen den Terrorismus nicht die Rechtfertigung
dafür sein, alles, was im Bereich der Sicherheitsbehörden technisch möglich ist, tatsächlich umzusetzen.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Dies entspricht nicht unserem Verfassungsverständnis
und auch nicht unseren Vorstellungen vom Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Wenn wir aber ernsthaft, ausgewogen und auf der Basis
von Fakten die Tätigkeit amerikanischer Dienste untersuchen wollen, dann sind wir auch auf Zusammenarbeit
angewiesen, vor allen Dingen darauf, dass sich in der
amerikanischen Öffentlichkeit noch viel stärker als bisher ein Aufklärungsinteresse artikuliert.
Der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack
Obama, hat gesagt, man könne nicht gleichzeitig hundertprozentige Sicherheit und hundertprozentige Privatsphäre haben. Bei aller Wertschätzung: Diesem Verständnis über den Zusammenhang von Freiheit und
Sicherheit möchte ich entschieden entgegentreten. Es sei
mir erlaubt, dass ich dafür einen anderen Amerikaner,
nämlich einen der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, Benjamin Franklin, bemühe, der gesagt hat:
Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

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