Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
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Dr. Fritz Felgentreu
(A) ten oder freitags auf der Heimreise die Bahnhöfe belagerten.
(Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Was?)
Wenn Kinder und Jugendliche sie provozieren wollten
und den einen oder anderen dummen Spruch brachten,
dann bekamen sie gerne zur Antwort: Lach du nur! Dein
Stahlhelm ist schon gepresst.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der
CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
– Wir erinnern uns an solche Sprüche, nicht?
(Michael Brand [CDU/CSU]: Absolut!)
Diese Art von Soldatenhumor gehörte zu einer Bundeswehr ohne ernsthafte Nachwuchssorgen. Die Wehrpflicht sorgte nicht nur für ausreichende Mannschaftszahlen, sondern sie füllte auch die Reihen der Zeit- und
Berufssoldaten immer wieder auf; denn es gab immer
auch Grundwehrdienstleistende, die sich für die Bundeswehr begeistern konnten und dabeigeblieben sind. Der
Bericht des Wehrbeauftragten 2013 ist eine Momentaufnahme aus einer Bundeswehr, für die die Nachwuchsgewinnung zu einer existenziellen Zukunftsfrage geworden
ist.
(B)
In den Medien – Frau Bartz hat es angesprochen – ist
viel darüber diskutiert worden, dass den Wehrbeauftragten 2013 die relativ höchste Zahl an Eingaben erreicht
hat. Diese Entwicklung belegt meines Erachtens vor allem zwei Dinge:
Erstens. Die Institution des Wehrbeauftragten hat die
Neuausrichtung der Bundeswehr schadlos überstanden.
Ganz offensichtlich brauchen Zeit- und Berufssoldaten
diesen Ombudsmann nicht weniger dringend als Grundwehrdienstleistende. Sie bringen ihm auch das gleiche
Vertrauen entgegen. Das ist Ihr Verdienst, lieber Herr
Königshaus, und dafür gebührt Ihnen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Zweitens. Die Befürchtung vieler Soldatinnen und
Soldaten, eine Eingabe könne ihnen im Dienstalltag
schaden, scheint jedenfalls nicht in höherem Maße abschreckend zu wirken als früher. Auch das ist eine erfreuliche Entwicklung. Insofern beschreibt die hohe
Zahl der Eingaben nicht das Kernproblem dieses Berichts.
Hellhörig müssen wir an anderen Stellen werden. Ich
möchte ein Beispiel nennen: Zur Sicherheitslage im Inland berichtet der Wehrbeauftragte, dass Soldaten ihn bei
Truppenbesuchen vermehrt auf Probleme bei der Bewachung von Liegenschaften angesprochen hätten.
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Meine Rede!)
Sie klagten darüber, dass die Anzahl militärischer Wachen immer mehr ausgedünnt würde und die Wachbelastung nicht zu bewältigen sei. Wie zur Bestätigung beschäftigt sich der Verteidigungsausschuss gerade mit
einem Vorfall in der militärisch bewachten Kaserne in
Seedorf, aus der vor einiger Zeit in den frühen Morgen-
stunden völlig unbemerkt 35 000 Schuss Munition ab- (C)
transportiert worden sind. Diesen Vorfall, meine Damen
und Herren, müssen wir unter dem Begriff der strukturellen Überforderung einordnen, der im Bericht des
Wehrbeauftragten im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr verwendet wird.
Im Bereich des hochspezialisierten Personals dokumentiert der Bericht das Problem detailliert: Die Flugverkehrskontrolle hat 20 Prozent zu wenig Personal, bei
den Flugberaterfeldwebeln fehlt ebenfalls ein Fünftel, in
Frankfurt sogar fast die Hälfte, und von den 30 Luftumschlagfeldwebeln, die die Bundeswehr für den Dienst im
Ausland braucht, hat sie acht. Eine Hubschrauberstaffel
der Marineflieger muss nach sechsmonatiger Pause wieder in den viermonatigen Auslandseinsatz, anstatt sich,
wie vorgesehen, 20 Monate regenerieren zu können, und
betrachtet das schon als Fortschritt. An zwei Standorten
im Inland wurde der Flugbetrieb ausgesetzt, weil das zivile Personal Freizeitausgleich für seine Überstunden
nehmen musste. Die Liste ließe sich fortsetzen; andere
Redner und Rednerinnen haben das heute bereits getan.
Das alles, meine Damen und Herren, wäre trotzdem
kein Grund zu vertiefter Besorgnis, wenn es nur einige
wenige Spezialqualifikationen beträfe; diese Lücken ließen sich sicherlich schließen. Aber so ist es eben nicht.
Offenbar kann die Bundeswehr die 20-monatigen Ruhepausen zwischen Auslandseinsätzen für viele Einheiten
nicht gewährleisten. Das Beispiel der Wachsoldaten
zeigt, dass die strukturelle Überforderung längst auch im
Alltag des Truppendienstes angekommen ist, mit möglicherweise verhängnisvollen Folgen: Die 35 000 Schuss
(D)
Munition aus Seedorf sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. Es muss wahrscheinlich unsere zweitbeste Hoffnung sein, dass es dabei bleibt.
Meine Damen und Herren, es gibt für die Personalprobleme der Bundeswehr auch gar keine einfache Lösung. Im Gegenteil: Gerade die Vorschläge, die der
Wehrbeauftragte macht, um den Dienst in der Bundeswehr familienfreundlicher und attraktiver zu gestalten
– Frau Ministerin ist darauf eingegangen –, laufen auf
neue Engpässe hinaus. Vor allem die Freistellung für Betreuungsaufgaben – zum Beispiel der Vorschlag, die Betreuung von Kindern unter drei Jahren als grundsätzlichen Einsatzhinderungsgrund festzuschreiben – ist zwar
vollkommen richtig; aber sie wird natürlich dazu führen,
dass gut ausgebildetes Personal dort fehlt, wo es gebraucht wird.
Der Bericht des Wehrbeauftragten beschreibt eine
Bundeswehr, die sich unter einer zu kurzen Decke zu
wärmen versucht. Unter den Bedingungen des Bevölkerungsrückgangs soll sie sich als Berufsarmee neu ausrichten, ihre Fähigkeiten erhalten und ausbauen und dabei so attraktive Arbeitsplätze vorhalten, dass für alle
Aufgaben ausreichend Personal und Ressourcen vorhanden sind. 2013 ist das offenkundig noch nicht oder zumindest nicht so gelungen, dass das Ergebnis den selbstgesteckten Erwartungen gerecht wird.
Meine Damen und Herren, wir sollten den Bericht
dennoch nicht so lesen, als sei die Bundeswehr nicht imstande, ihre Aufgaben zu erfüllen; dazu ist sie bis heute