Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

1789

Doris Wagner

(A)

Bis in die 80er-Jahre hinein waren Angehörige der
Bundeswehr und der NVA gesundheitsschädlicher Strahlung an nicht abgeschirmten Radargeräten ausgesetzt.
Viele von ihnen sind in der Folge schwer erkrankt.
Trotzdem verweigert die Bundeswehr zahlreichen Betroffenen bis heute eine angemessene Entschädigung,
indem sie nur Krebserkrankungen oder Katarakte als
radartypische Folgeerkrankungen anerkennt. Die Betroffenen können in der Regel sehr plausibel darlegen,
welch hohen Strahlenbelastungen sie ausgesetzt waren.
Dennoch verbarrikadiert sich die Bundeswehrverwaltung hinter geschätzten oder fehlerhaft und viel zu spät
ermittelten Werten, weil es keine Aufzeichnungen aus
den 60er-Jahren gibt. Geht dann doch einmal ein Gerichtsverfahren zugunsten der betroffenen Soldaten aus,
legt die Bundesrepublik regelmäßig Revision ein. Die
Folge ist: Die Prozesse ziehen sich manchmal über Jahrzehnte hin. Ein hochbetagter früherer Soldat darf häufig
von Glück sagen, wenn er das Urteil überhaupt noch erlebt.
Dieses Verhalten, Frau Ministerin, ist schäbig. Es widerspricht aber auch den ureigensten Interessen der Bundeswehr. Weshalb sollte jemand – ich komme zum
Schluss Frau Präsidentin – schwören, für unseren Staat
seine Gesundheit und sein Leben einzusetzen, wenn dieser Staat offenbar nicht gewillt ist, im Schadensfall seiner Fürsorgepflicht nachzukommen? Deshalb mein dringender Appell: Hören Sie auf, mit den Geschädigten
kleinlich über Strahlenmengen zu debattieren! Die geschädigten Soldaten haben ihren Teil des Vertrages erfüllt. Jetzt sind Sie an der Reihe!

(B)

Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Anita
Schäfer, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU):

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wehrbeauftragter! Im Namen der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich Ihnen und all
Ihren Mitarbeitern danken, die an der Erstellung des differenzierten und interessanten Jahresberichts 2013 beteiligt waren. Er zeigt vor allem, dass große Reformvorhaben häufig mit Unsicherheit der Betroffenen verbunden
sind, was sich in den gesteigerten Zahlen von Eingaben
der Soldatinnen und Soldaten im Berichtszeitraum ausdrückt.
Umso wichtiger ist es, dass mit der jetzigen Bundeswehrreform eine stabile Struktur erreicht wird, mit der
die Truppe jetzigen und zukünftigen Herausforderungen
begegnen kann, damit es nicht in ein paar Jahren wieder
zur Reform der Reform kommen muss.
Meine Damen und Herren, mehr als einmal haben wir
in den vergangenen Jahrzehnten erlebt, dass sich die
Konstanten der Sicherheitspolitik quasi über Nacht ge-

ändert haben. Dazu gehört der Zusammenbruch der (C)
kommunistischen Planwirtschaft und des Warschauer
Paktes mit all seinen Folgen, einschließlich der deutschen Wiedervereinigung und des Zerfalls der Sowjetunion. Dazu gehören auch die Anschläge vom 11. September 2001, und dazu gehören schließlich das aktuelle
russische Vorgehen auf der Krim und die Ungewissheit
über die staatliche Integrität der Ukraine.
Ich glaube ausdrücklich nicht, dass wir in eine neue
Ost-West-Konfrontation zurückfallen werden. Es gibt
derzeit keinen Grund, beispielsweise die Wehrpflicht
wieder einzuführen, wie ich es diese Woche schon gelesen habe.
Allerdings müssen wir die Besorgnis unserer östlichen Partner ernst nehmen, die an Russland oder die
Ukraine grenzen und die teilweise – wie die baltischen
Staaten – selbst russische Bevölkerungsteile haben. Der
Kernzweck der NATO als Sicherheitsbündnis gegen Bedrohungen in Europa gewinnt damit erheblich an Bedeutung.
Lieber Herr Königshaus, es erweist sich als richtig,
dass wir bei der Bundeswehrreform den Grundsatz
„Breite vor Tiefe“ verfolgt haben. Wir leisten weiterhin
einen Beitrag zur internationalen Krisenbewältigung, der
der Bedeutung Deutschlands in Europa und der Weltgemeinschaft entspricht. Aber die Bundeswehr muss auch
Anlehnungspartner in der Bündnisverteidigung für unsere kleineren Nachbarn sein, die eben nicht mehr das
volle Spektrum militärischer Fähigkeiten darstellen können und mit denen wir künftig noch enger kooperieren
wollen, wie mit den Niederlanden und Polen. Insofern ist (D)
die jetzige Struktur glücklicherweise zukunftssicher,
weil sie nicht nur den internationalen Einsätzen, sondern
auch weiterhin der Bündnisverteidigung Rechnung trägt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Strukturen sind das
eine. Aber erst Personal und Ausrüstung füllen sie aus.
Neue sicherheitspolitische Voraussetzungen haben auch
immer wieder neue Anforderungen an die Ausstattung
der Soldaten gestellt. So haben zurückliegende Berichte
des Wehrbeauftragten besonders für den Einsatz in
Afghanistan mehrfach explizit das Fehlen geschützter
Fahrzeuge hervorgehoben. Die wiederholte Befassung
im Parlament hat wesentlich zur Schließung dieser Lücken beigetragen.
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtig!)
Diese Beschaffungen behalten unabhängig von der Art
künftiger Einsätze ihren Wert. Das gilt auch für neue
Technologien, über die wir vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen diskutiert haben, wie beispielsweise bewaffnete Drohnen, die ich schon in meiner letzten Rede
an dieser Stelle erwähnt habe.
Gleichzeitig zeigen die Sorgen unserer osteuropäischen Partner, dass klassische Systeme wie der Eurofighter und der Kampfhubschrauber Tiger eben nicht
veraltet sind. Sie haben vielmehr trotz aller Kritik an langer Entwicklung und hohen Kosten ihre Berechtigung,
weil sie der gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit und
Verteidigungsbereitschaft in Europa dienen. Auch hier

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