1784
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
(A) ganze Ausbildungs- und Universitätslandschaft im Kleinen ab. Das ist ein riesiger Marktvorteil, den wir weiter
ausbauen wollen.
Ich möchte noch einige Bereiche kurz antippen, in denen wir besser werden können; wir haben zwar den
Marktvorteil, aber den wollen wir auch behalten. Soldatinnen und Soldaten erwerben im Dienst viele Kompetenzen und Qualifikationen. Warum zertifizieren wir
diese nicht für den Zivilberuf? Erhält man ein Zertifikat
über das, was man bei der Bundeswehr gelernt hat, dann
eröffnen sich im Anschluss beim Übergang in den zivilen Beruf viel größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Mit Blick auf unseren Binnenarbeitsmarkt fragt man
sich: Warum nutzen wir solche Zertifikate nicht viel stärker bei Soldatinnen und Soldaten auf Zeit, um sie in jene
zivile Berufe zu übernehmen, in denen genau ihre Qualifikation nachgefragt wird? Die Bildungseinrichtungen,
die ich eben genannt habe, sind vom Feinsten. Wieso
öffnen wir sie eigentlich nicht für alle Angehörigen der
Bundeswehr? Lebenslanges Lernen und Aufstiegsqualifizierung sind die Schlüsselkompetenzen, die eine Gesellschaft im demografischen Wandel braucht. Die Bundeswehr braucht sie genauso.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir haben in der
Bundeswehr alle Möglichkeiten. Nutzen wir sie!
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(B)
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Vielen Dank. – Das Wort hat Christine Buchholz,
Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Christine Buchholz (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Herr Königshaus! Meine Damen
und Herren! Der Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten verdeutlicht vor allen Dingen eines: Wenn Frau von
der Leyen sagt, der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen – das haben Sie zumindest zum Ende Ihrer Rede gesagt –, dann hat das mit der Realität in der Bundeswehr
allzu oft nichts zu tun. Umgerechnet auf die Personalstärke haben 2013 mehr Soldaten als je zuvor über Missstände geklagt. Das ist eine schallende Ohrfeige für den
abgetretenen Verteidigungsminister de Maizière. Ich
füge hinzu: Die ersten Initiativen von Frau von der
Leyen lassen Zweifel aufkommen, dass sich an diesem
Zustand etwas ändern wird.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/
CSU]: Sie reden immer alles schlecht!)
Die Bundeswehr ist keine Verteidigungsarmee mehr.
Sie wird zu einer global agierenden Interventionsarmee
ausgebaut. Allein im Berichtsjahr 2013 kamen Einsätze
im Senegal, in Mali und in der Türkei hinzu. Dabei wird
nicht nur die Mehrheit unserer Bevölkerung ignoriert,
(Henning Otte [CDU/CSU]: Das zeigt ja Ihr
Wahlergebnis!)
die diese Einsätze zu Recht ablehnt. Der gesamte Umbau (C)
der Bundeswehr wird sogar auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien ausgetragen. Das
ist die Realität, die einem ins Auge springt, wenn man
den Bericht des Wehrbeauftragten liest.
(Beifall bei der LINKEN)
Frau von der Leyen, Sie haben von einem „sicheren
Arbeitsplatz“ bei der Bundeswehr gesprochen. Erstmalig
seit zwei Jahren ist wieder ein Soldat in einem Feuergefecht in Afghanistan gestorben. Das ist tragisch.
Schlimm ist auch, wenn Soldatinnen und Soldaten mit
psychischen Störungen und traumatisiert nach Hause zurückkehren. Es geht um Depressionen, um Alkoholabhängigkeit und um PTBS, Posttraumatische Belastungsstörungen. 2006 wurden 83 Soldaten mit PTBS in
Bundeswehrkrankenhäusern behandelt, 2013 waren es
laut Bericht bereits 1 500 – Tendenz: stark zunehmend.
Dazu kommen jene, die privat in Therapie sind, und jene
Fälle, die gar nicht erkannt werden. Selbst das zur Bundeswehr gehörende Psychotraumazentrum in Berlin geht
davon aus, dass ein Viertel der Soldatinnen und Soldaten, die zurückkommen, unter einsatzbedingten psychischen Störungen leidet.
Es ist traurig, aber 15 Jahre systematische Ausrichtung der Bundeswehr auf internationale Einsätze haben
PTBS zu einer in Deutschland verbreiteten Krankheit
gemacht. Insgesamt waren allein in Afghanistan 160 000
deutsche Soldaten im Einsatz. Es gibt heute kaum einen
Ort in Deutschland, in dem keine Familien leben, die davon betroffen sind. PTBS-Kranke leiden zum Beispiel
unter Schlaflosigkeit. Schlüsselreize wie Hitze oder (D)
Rauch, die an die traumatisierenden Erfahrungen im
Krieg erinnern, können Wutattacken auslösen. Kinder,
Freunde, Partnerinnen und Partner, sie alle bekommen
tagtäglich die Auswirkungen zu spüren. Die Scheidungsraten bei Heimkehrern liegen in einzelnen Einheiten bei
bis zu 80 Prozent. Der NATO-Einsatz in Afghanistan hat
Zehntausenden Afghanen das Leben gekostet; aber dieser Krieg macht auch Soldaten und ihre Familien krank.
Dieses Problem muss endlich in all seiner Schärfe anerkannt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Problem wird sich verstärken, wenn Ende des
Jahres eine größere Zahl aus Afghanistan zurückkehrt;
denn aus der Erfahrung vergangener Kriege weiß man,
dass viele psychische Erkrankungen erst später auftauchen. Aber was macht die Bundesregierung? Sie verschärft das Problem weiter. Sie verweigert sich einer
ehrlichen Bilanz von zwölf Jahren Krieg in Afghanistan.
Sie hält weiter über 3 000 Soldatinnen und Soldaten in
Afghanistan. Von einem echten Abzug kann keine Rede
sein. Die Bedrohungslage im Norden wird teilweise immer noch als erheblich eingeschätzt; trotzdem wird das
immer wieder vom Tisch gewischt.
Der nächste Bundeswehreinsatz in einem Bürgerkriegsland steht vor der Tür. Heute noch wird im Bundestag über die Entsendung von Soldaten nach Mogadischu in Somalia diskutiert.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Wie viele denn?)