Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen

(A) sind genau die Bereiche, in denen die Wirtschaft inzwischen den Fachkräftemangel spürt; alle stehen bei diesen
Fähigkeiten in Konkurrenz. Das bedeutet für uns: Wir
müssen bei den Lösungen flexibler und kreativer werden.
Die Bundeswehr bietet inzwischen ein Splittingmodell an – man würde das in der Wirtschaft wahrscheinlich Jobsharing nennen –: Einsatzdienstposten werden
von zwei Soldatinnen oder Soldaten besetzt. Dadurch
kann die Einsatzdauer flexibler und kürzer gestaltet werden. Die Luftwaffe hat ein entsprechendes Projekt und
macht damit gute Erfahrungen. Wir werden das ganz sicher ausbauen. Eines ist aber auch klar: Mit Flexibilisierung
allein ist es nicht getan; denn viele Arbeitgeber fragen, wie
ich eben geschildert habe, diese Schlüsselqualifikationen
nach. Wir müssen also als Arbeitgeber die richtigen Antworten geben.
Die Bundeswehr hat als Arbeitgeber zwei große Stärken: Erstens. Sie bietet einen sicheren Arbeitsplatz; es
gibt keine feindlichen Übernahmen oder Konzernrestrukturierungen, um in der Wirtschaftssprache zu sprechen.
(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)
Zweitens. Die Bundeswehr hat eine außergewöhnlich
verlässliche Personalentwicklung wie kaum ein anderer
Arbeitgeber. – Das sind die großen Stärken.
Sie muss sich andererseits bei den Themen viel breiter aufstellen, die sich hinter dem Begriff „Vereinbarkeit
von Dienst und Familie“ verbergen: flexible Arbeitszeit(B) modelle, selbstverständlich die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie – wenn die Hochleistungsmedizin das
geschafft hat, wenn andere kritische Berufe das geschafft
haben, dann muss das auch die Bundeswehr schaffen –,
mobiles Arbeiten – damit meine ich physisch unabhängiges, IT-gestütztes Arbeiten – und das Mitdenken von
Kindern und Eltern, die gepflegt werden müssen. Das
möchte ich nicht nur auf Soldatinnen reduziert sehen; es
betrifft genauso elementar die Soldaten, die selbstverständlich gute Väter für ihre Kinder sein wollen. Vielleicht hat nicht jede Soldatin oder jeder Soldat Kinder;
aber sie alle haben Eltern. In einer Gesellschaft im demografischen Wandel kommt dieses Thema mit großer
Geschwindigkeit auf uns zu. Wir müssen darauf Antworten geben; sonst werden wir nicht mehr das Personal halten können, das wir halten wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Herr Königshaus, Sie sprachen das Thema „Truppenbild ohne Dame“ an, also die Stellung der Frauen in der
Bundeswehr. Ich glaube, etwas mehr als zehn Jahre nach
der Öffnung der Bundeswehr für Frauen – am Anfang
stand sicherlich auch das Interesse am Neuen und Ungewöhnlichen im Raum – kommt jetzt die Phase, in der
man die Konkurrenz spürt; das ist eine Selbstverständlichkeit. Ich finde es in dieser Zeit ganz wichtig, dieses
Thema offen anzusprechen und zu debattieren und die
Truppe im Hinblick auf ihre Sprache und ihre Umgangsformen zu sensibilisieren. Es dürfen keine Nachteile daraus entstehen, dass man dies zum Thema macht. Hier
bedarf es ganz klar der Führung, die deutlich machen

muss, dass das Thematisieren keinen Nachteil bedeutet. (C)
Diskriminierung oder Belästigung sind keine Tabuthemen. Man muss sich nicht in die Ecke stellen und schämen, wenn man sie anspricht. Im Gegenteil: Indem man
sie aufs Tapet bringt, kann man die Wurzel des Übels
finden und damit eine Veränderung des Verhaltens in der
Truppe herbeiführen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ein weiterer Punkt, der mir in Bezug auf das Thema
„attraktiver Arbeitgeber“ wichtig ist, ist das Thema Verwendungsaufbaumodelle. Schon allein der Begriff ist etwas starr und sicherlich auch überfrachtet. Ich habe eben
darauf hingewiesen, dass die sehr verlässliche Personalplanung eine große Stärke der Bundeswehr ist. Aber es
ist eher so, dass sich die Soldatinnen und Soldaten nach
der Personalplanung richten müssen. Ich hingegen
glaube, dass wir lernen müssen, vom Soldaten, von der
Soldatin her zu denken und die Planung an deren Lebenswirklichkeit anzupassen. Ein Beispiel wäre, die Verwendungslaufbahnen regional zu organisieren, damit
man nicht mehr von Pontius zu Pilatus reisen muss, um
eine Verwendungslaufbahn zu absolvieren. Vielmehr
sollte es den Soldatinnen und Soldaten ermöglicht werden, die Verwendung in der Region zu realisieren, in der
sie ihren Lebensmittelpunkt, ihre Familie haben. Bei der
Planung muss man vom Menschen her denken und nicht
umgekehrt. In Ihrem Jahresbericht schreiben Sie, Herr
Königshaus, dass die Attraktivität eine Überlebensfrage
der Bundeswehr sei. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu.
Ich möchte meinen Blick kurz auf das Thema „Werbung von Nachwuchs bei der Bundeswehr“ richten. Die (D)
Ausgangslage ist sehr gut. Für 2014 konnten wir bis
heute, also 9 Monate vor Ende des Jahres, bereits
54 Prozent aller verfügbaren Stellen für Soldatinnen und
Soldaten auf Zeit besetzen. Das ist ausgezeichnet. Auch
die Qualifikationen stimmen. 70 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber haben mindestens die mittlere
Reife. Mehr als zwei Drittel – das finde ich ganz klasse –
bringen eine abgeschlossene Berufsausbildung mit. Es
bewerben sich also bereits qualifizierte Leute bei der
Bundeswehr. Das ist hocherfreulich. Genau da müssen
wir weitermachen.
Ich möchte zum Schluss einen Aspekt herausgreifen,
der wenig Beachtung findet, aber ein Kleinod innerhalb
der Bundeswehr ist, und zwar das Thema „Bildung und
Qualifikation“. Die Bundeswehr ist ein bedeutender Bildungs- und Ausbildungsträger in unserem Land, sowohl
im militärischen als auch im zivilen Bereich. Wir können
auf einer vielfältigen Bildungs- und Qualifizierungslandschaft aufbauen, die im Vergleich zu anderen Arbeitgebern einzigartig ist. Mit diesem Pfund müssen wir wuchern. Das betrifft die Themen Berufsausbildung,
fachliche Fort- und Weiterbildung und akademischer
Abschluss. Ich will Ihnen hierzu zwei Zahlen nennen.
Allein 5 000 Soldatinnen und Soldaten nehmen zurzeit
an 500 unterschiedlichen Maßnahmen auf Gesellenebene oder auf Meisterebene teil. Allein 4 500 Studentinnen und Studenten werden in 55 unterschiedlichen Studiengängen ausgebildet, um ihren Masterabschluss zu
machen. Die Bundeswehr bildet gewissermaßen eine

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