Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

1777

Manfred Grund

(A) mit den Ereignissen 1956 in Ungarn und der Niederschlagung des Prager Frühlings 1967 finden. Heute verwendet Russland dieselbe Argumentation, um sich die
Krim anzueignen und möglicherweise einen Vorwand
für den Einmarsch in Odessa oder Charkiw zu haben.
Also, Herr Kollege Gysi, gehen Sie weg von dieser verlogenen Argumentation. Sie haben es gar nicht nötig.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Stefan Liebich [DIE LINKE]:
Das hat er gar nicht gesagt!)
Ich will neben der Ukraine auf zwei Länder hinweisen, die dringend unsere Unterstützung brauchen, europäische Unterstützung und Unterstützung aus Deutschland, einmal auf Georgien und zum anderen auf die
Republik Moldau. Beide werden im Spätsommer das mit
der Europäischen Union ausgehandelte Assoziationsabkommen unterzeichnen. Beide stehen bereits jetzt unter
massivem russischen Druck, mit dem das verhindert
werden soll. Das heißt, wir müssen uns diesen beiden
Ländern viel stärker zuwenden und ihnen nach Möglichkeit eine europäische Perspektive bieten.
Zum Abschluss. Unsere Hand ist zur Kooperation
ausgestreckt. Wir wollen nicht hoffen, dass Konfrontation die nächsten Jahre bestimmt. Ich will mit einem
ukrainischen Sprichwort schließen, das heißt: Wenn die
Fahnen wehen, rutscht der Verstand in die Trompete. –
Ich hoffe, dass in Moskau der Verstand nicht gänzlich in
die Trompete gerutscht ist und dass wir zur Normalität
und zur Diplomatie zurückkehren können.
(B)

Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte
spricht für die CDU/CSU-Fraktion Klaus-Peter Willsch.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Norbert Spinrath [SPD])
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Ich danke Manfred Grund für
diese richtige historische Einordnung. Ich will Herrn
Gysi auch noch einmal ein bisschen auf die Sprünge helfen.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Geschichtsvergessen ist das!)
Sie stellen gerne Bezüge zum Gebiet des früheren Jugoslawien her. Auch ich sehe da Parallelen; denn Milosevic
hat dort alle Staaten in seinem Umfeld mit Aggressionskriegen überzogen, weil er gesagt hat: Da ist irgendwo
ein Serbe, und deshalb ist das serbisches Territorium. –
Sie haben das vielleicht nicht mitbekommen, weil Sie
damals in Belgrad waren und Milosevic das Händchen
gehalten haben, statt auf der richtigen Seite zu stehen.
Sie scheinen nichts aus der Geschichte gelernt zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

(C)

Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland, zwischen Deutschen und Russen, zwischen den
Menschen der beiden Länder, sind eng. Wir hatten hier
in Berlin die Ausstellung „Russen und Deutsche:
Tausend Jahre Kunst, Geschichte und Kultur“ im letzten
und vorletzten Jahr. Das war ein Publikumsmagnet.
Viele Menschen haben die Ausstellung besucht. Sie war
ein Beitrag zum Russland-Jahr in Deutschland und zum
Deutschland-Jahr in Russland.
Gleichwohl müssen wir leider erkennen, dass Konflikte und Denkmuster, die wir schon überwunden glaubten, wieder aufbrechen oder wieder sichtbar werden.
Man kann vieles persönlich für nicht richtig halten, aber
trotzdem entschuldigen oder nachvollziehen. Man kann
versuchen, die Welt durch die Augen des anderen zu sehen, und das haben wir auch oft getan. Aber mit dem,
was in den letzten Tagen und Wochen auf der Krim passiert ist, ist Moskau mehr als nur einen Schritt zu weit
gegangen. Das ist nicht hinnehmbar.
Was können wir tun? Ein Übergehen zur Tagesordnung ist nicht möglich. Wir alle hoffen, dass die ersten
Stufen der von der EU ergriffenen Sanktionsmaßnahmen
hinreichen. Aber auch sie werden nur gelingen, wenn
wir an unserer Entschlossenheit, im Zweifelsfall auch
weiter zu gehen, wirtschaftliche Sanktionen ernsthaft in
Betracht zu ziehen, keinen Zweifel lassen. Dazu gehört,
dass wir uns unserer energiepolitischen Abhängigkeit
bewusst sind, wenn wir darüber reden, und dass auch die
andere Seite weiß, dass wir uns dieser Abhängigkeit bewusst sind. Deshalb bin ich auch führenden Wirtschafts- (D)
vertretern dankbar, die deutlich gemacht haben: Völkerrecht bleibt Völkerrecht, und es darf nicht darüber
hinweggegangen werden.
Eine aktuelle Studie der Stiftung Wissenschaft und
Politik, die ich Ihnen wirklich zur Lektüre empfehle
– sie ist hervorragend –, zeigt das hohe Destabilisierungspotenzial bezüglich der Versorgung mit Gas und Öl
auf. Russland ist Europas Energielieferant Nummer eins.
30 Prozent des in der EU benötigten Gases kommen von
dort, beim Öl sind es 35 Prozent. Auf Deutschland bezogen sind die Werte noch etwas höher.
Aber natürlich sind wir auch gegenseitig voneinander
abhängig. Die Talfahrt des Rubel-Kurses zum Euro in
den letzten Wochen von 1: 40 auf 1: 50 zeigt schon, dass
sich auch die russische Wirtschaft nicht so leicht eine
Eiszeit erlauben kann. Moskau kann nicht ignorieren,
dass sich der russische Haushalt zu etwa 55 Prozent aus
Erlösen von Gas- und Ölgeschäften speist.
Herrn Hofreiter, der jetzt wieder bei uns ist,
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war die ganze Zeit da!)
möchte ich zurufen, dass ich sehr wohl nachvollziehen
kann, wenn er die Frage aufwirft, ob es angesichts dieser
Analyse richtig ist, im Bereich der Gasversorgung eine
vertikale Integration zuzulassen. Wir sind bei der Versorgung abhängig, und nun sollen wir auch noch unseren
strategischen Speicher in einen Einflussbereich geben, in

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