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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. März 2014

Manfred Grund

(A) herausgerissen. Wer ist als Nächstes dran: Odessa oder
Donezk?
(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Eben!)
Ich möchte diese Art der Weiterentwicklung des Völkerrechts nicht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Im Jahre 2008 hat Präsident Putin auf einer internationalen Konferenz in Bukarest gesagt: Die Ukraine ist gar
kein richtiger Staat. – Das steht in der Tradition der
Breschnew-Doktrin der eingeschränkten Souveränität
sozialistischer Länder. Eingeschränkte Souveränität bedeutet: Das, was Russland – damals der Sowjetunion –
nutzt, wird gemacht. Alle anderen Staaten werden in ihren Grenzen – zumal es ja auch russischer Boden gewesen sein kann – infrage gestellt. – Frau Kollegin Beck
hat zu Recht auf Kasachstan hingewiesen. Wir wissen
um die Ängste im Baltikum, in Polen oder in Transnistrien, der Republik Moldau. Auch hier träfe eine solche
Argumentation zu. Also: Sie begeben sich wirklich auf
Schmierseife.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg.
Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN])
Selbstbestimmung ist immer dann gut, wenn sie Russland nutzt, wie zum Beispiel bei der Abstimmung auf
der Krim. Selbstbestimmung der Balten, deren Staaten
(B) aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen sind
und die sich unter den NATO-Schutzschirm gestellt haben, weil sie Angst vor einem wiedererstarkenden Russland hatten, wäre nicht möglich; denn – so ist Ihre Argumentation – zwischen Gorbatschow und Kohl ist ja
etwas anderes vereinbart worden.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Herr Kollege Grund, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke?
Manfred Grund (CDU/CSU):

Bitte zum Schluss. Oder er kann dann eine Kurzintervention machen. – Das kann er aushalten.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Zum Schluss.
Manfred Grund (CDU/CSU):

Die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion haben möglicherweise eine Vereinbarung getroffen. Aber die Sowjetunion hat sich verflüchtigt. Übrig
geblieben ist nicht Russland als Nachfolgestaat, sondern
es sind souveräne Staaten wie im Baltikum, die ein
Recht auf eine eigene Zukunft haben. Also: Ihre Interpretation des Selbstbestimmungsrechts ist problematisch.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens, die Legitimität der Übergangsregierung. (C)
Die Übergangsregierung in Kiew basiert auf einer Vereinbarung, die zwischen Janukowitsch, drei europäischen Außenministern und einem Vertreter Russlands
am 21. Februar getroffen wurde.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da halten die
sich doch gar nicht dran!)
Am 22. Februar war Janukowitsch weg. Er hatte sich
aus dem Staub gemacht und seine Koffer nachweislich
schon drei Tage zuvor gepackt. Die Legitimität bezieht
sich also auf diese geschlossene Vereinbarung und
Art. 111 der geltenden ukrainischen Verfassung.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da halten sie
sich doch gar nicht dran!)
Die Übergangsregierung repräsentiert übrigens im Gegensatz zu dem, was hier gelegentlich verbreitet wird,
die ukrainische Bevölkerung und auch die Regionen der
Ukraine, weil viele Abgeordnete der Partei der Regionen
heute im Parlament aufseiten der Regierung sind und damit die politischen Lager, aber auch die Regionen – der
Süden und der Osten der Ukraine – im Parlament vertreten sind.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber sie sind
nicht in der Regierung!)
Drittens, zum Vorwurf des Faschismus und des Antisemitismus. Ich will mit dem Vorwurf des Antisemitismus beginnen. Es ist richtig, dass in der jetzigen Regierung mehrere Minister und ein stellvertretender
Ministerpräsident mit jüdischen Wurzeln vertreten sind.
(D)
Es ist weiterhin richtig, dass drei der von der Übergangsregierung neu eingesetzten Gouverneure jüdischer Herkunft sind, unter anderem der Gouverneur von Dnipropetrowsk, Kolomoiyski, der der Leiter der jüdischen
Gemeinden in der Ukraine und Vorsitzender des Europäischen Rates der Jüdischen Gemeinden ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zum Vorwurf des Faschismus. Ja, Vertreter von Swoboda und andere Vertreter des Rechten Sektors sind unappetitliche Gesellen. Mit denen wollen wir alle nicht
gesehen werden; das ist völlig richtig.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das werden Sie
aber!)
Aber deswegen ist die ukrainische Regierung nicht faschistisch.
(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das habe ich
nicht gesagt!)
Vielmehr unternimmt sie den Versuch, alle Gesellschaftsteile zu repräsentieren.
Jetzt will ich eines sagen: Der Faschismusvorwurf
wurde und wird immer erhoben, wenn er der Sowjetunion bzw. Russland nutzt. Ich erinnere an den Faschismusvorwurf im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953
in der DDR. „Faschistische Umtriebe“ mussten damals
angeblich mit sowjetischen Panzern gestoppt werden.
Dieselbe Argumentation lässt sich im Zusammenhang

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